Page 33 - DFB-Schiedsrichterzeitung
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                                                                                                   Schiedsrichter
                                                                                                   während eines Spiels
                                                                                                   des Old Carthusians FC
                                                                                                   in Godalming/Surrey.

                                                                                                   Rechts:
                                                                                                   William Pickford,
                                                                                                   später Präsident der
                                                                                                   FA, schrieb 1906
                                                                                                   ein Standardwerk.
                                                                                                   Zitat: „Schiedsrichter
                                                                                                   müssen streng und
                                                                                                   höflich sein und alle
                                                                                                   Spieler wie Brüder
                                                                                                   behandeln, solange
                                                                                                   diese ihr Vertrauen
                                                                                                   rechtfertigen.“

          aufgefordert werden muss, wenn er das Verhalten eines   („British Home Championship“). Häufigster Gewinner war
          Spielers für gefährlich hält.“              die „England Eleven“, wie man Englands Nationalmann-
                                                      schaft damals nannte.
          Das Prinzip des allein entscheidenden Schiedsrichters war
          nun in den „Laws of the Game“ festgelegt. Damals noch   In Deutschland war man noch lange nicht so weit. 1874
          in Regel 12, inzwischen und seit 82 Jahren in Regel 5, die   hatte der Lehrer Konrad Koch in Braunschweig für seine
          heute mit den Worten beginnt: „Jedes Spiel wird von   fußballbegeisterten Schüler am Martino-Katharineum die
          einem Schiedsrichter geleitet, der die uneingeschränkte   ersten deutschen Fußball-Regeln aufgeschrieben. Da
          Befugnis hat, die Spielregeln durchzusetzen.“   spielten die Engländer schon vor Tausenden von Zuschau-
                                                      ern um den FA Cup.
          Im Jahr 1893 kam die Tatsachenentscheidung hinzu („and
          his decision on points of fact connected with the play   Und als man dort in den 1890er-Jahren die Regeln längst
          going on shall be final“), die bis heute wichtigste Grund-  vereinheitlicht und ihre Auslegung und Anwendung ver-
          lage für den geordneten Ablauf von Spielen und Wettbe-  trauensvoll in die Hände des „Referees“ gelegt hatte, schrieb
          werben: „Die Entscheidungen des Schiedsrichters zu Tat-  man in Deutschland Briefe und Telegramme, um sich vor
          sachen im Zusammenhang mit dem Spiel sind endgültig.“   einem meist über Anzeigen in Zeitungen vereinbarten Spiel
                                                      auf gemeinsame Regeln zu einigen. Denn die variierten
          All das spielte sich auf den Britischen Inseln ab, wo der   noch lange von Stadt zu Stadt und sogar von Verein zu
          Fußball in England, Schottland, Wales und Irland schon   Verein.
          gut organisiert war; seit 1884 wurde zwischen den vier
          Ländern jährlich eine britische Meisterschaft ausgespielt   Aber das ist eine andere Geschichte.




          DAS SYSTEM VON 1891


          Es war eine schleichende Entwicklung, die   teiischen minimieren zu können. Dabei gehö-  ner Hälfte großzügig, der andere pfiff alles
          einen logischen Schluss hatte: Als man 1891   ren sie doch genauso zum Spiel wie die   weg …
          den Schiedsrichter als Alleinentscheider auf     Fehler der Spieler. Versuche gab es 1921 in
          das Spielfeld stellte, war die Zeit der Diskus-  Deutschland, 1935 und 1971 in England und   „Das Experiment hat keine ausreichend posi-
          sionen zwischen Kapitänen und Umpires   schließlich mit Billigung des IFAB 1999/2000   tiven Ergebnisse gebracht, weshalb verein-
          sowie später den Umpires auf dem Platz und   unter anderem in Brasilien und im italieni-  bart wurde, es abzubrechen“, heißt es im
          dem Schiedsrichter am Spielfeldrand vorbei.   schen Pokal.             IFAB-Protokoll vom 9. März 2001. Diese nüch-
          Nur einer hatte fortan das Sagen. Alles, was                           terne Feststellung hat auch fast 20 Jahre
          unmittelbar mit dem Spiel zusammenhing,   Letztlich scheiterten sie alle. Äußerlich an   später noch ihre Gültigkeit. Die Folge: Auch
          entschied der Mann in der Mitte. So ist es   den höheren Kosten – mehr „Gerechtigkeit“   in Zukunft werden Fußballspiele nach dem
          noch heute und natürlich auch, wenn der   wollen alle Vereine, dafür zahlen allerdings   Alleinentscheider-System von 1891 geleitet.
          Mann manchmal eine Frau ist.        nicht so gern – oder am Mangel an entspre-
                                              chend ausgebildeten Schiedsrichtern. Zur   Denn selbst dort, wo der Schiedsrichter von
          Ein einfaches System, das sich über viele   inneren Wahrheit gehört, dass die Auslegung   Assistenten an den Linien oder gar im Video-
          Jahrzehnte und auf der ganzen Welt bewährt   und Anwendung der Regeln durch zwei   Raum unterstützt wird – was allerdings noch
          hat. Dennoch gab es immer wieder Anläufe,   gleichberechtigte Schiedsrichter während   nicht einmal in fünf Prozent aller Spiele der
          einen zweiten Schiedsrichter einzuführen,   desselben Spiels  zu neuem, bisher  nicht   Fall ist –, trifft er allein jede Entscheidung.
          weil man glaubte, damit die Fehler der Unpar-  gekanntem Ärger führte: Einer leitete in sei-  Und das ist auch gut so.
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