Page 28 - DFB-Schiedsrichterzeitung
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                          5    Borussia Dortmund – Eintracht Frankfurt    rada, befindet sich im Moment der Ausführung jedoch
                             (22. Spieltag)                          mit beiden Füßen deutlich vor der Torlinie (Foto 7). Das
                        Eine ähnliche Szene, aber mit vertauschten Rollen: Hier   teilt der Assistent – der beim Strafstoß bekanntlich auf
                        ist es mit dem Dortmunder Erling Haaland ein Stürmer,   dem Schnittpunkt zwischen Torlinie und vertikaler Straf-
                        der in Erwartung einer Flanke von der rechten Seite   raumlinie steht und von dort eine besonders günstige
                        fernab des Balles seinen Gegenspieler Stefan Ilsanker   Perspektive hat, um das Verhalten des Torwarts zu beob-
                        am Trikot festhält (Foto 5a) und ihn dann zu Boden zieht   achten – dem Unparteiischen mit (nicht im Bild zu sehen).
                        (Foto 5b). Auch hier hat der Schiedsrichter seinen Blick   Dieser zeigt dem bereits verwarnten Schlussmann der
                        auf den ballführenden Spieler gerichtet. Der Assistent   Osnabrücker daraufhin „Gelb/Rot“ und ordnet eine Wie-
                        auf dieser Seite wiederum (am rechten Bildrand zu sehen)   derholung der Ausführung an.
                        hat keine Chance, das Halten zu erkennen, weil sich
                        Haaland aus seiner Perspektive hinter Ilsanker befindet.  In puncto Aufmerksamkeit, Regelkenntnis und Persön-
                                                                     lichkeit ist dies eine herausragende Szene des Assisten-
                        Dass das Vergehen dennoch mit einem direkten Frei-  ten Tobias Christ. Er hat eine klare Wahrnehmung und
                        stoß für Frankfurt geahndet wird, ist dem Assistenten   außerdem den nötigen Mut, um maßgeblich zur korrek-
                        auf der gegenüberliegenden Spielfeldseite zu verdan-  ten Auflösung der Situation beizutragen. Wenn ein Tor-
                        ken. Er hat von der Mittellinie aus freie Sicht auf den   hüter die Torlinie klar erkennbar vorzeitig mit beiden
                        Zweikampf und schildert dem Schiedsrichter über das   Füßen verlässt und den Ball anschließend abwehrt, ist
                        Headset seine Wahrnehmung.                   eine Wiederholung des Strafstoßes die richtige Ent-
                                                                     scheidung.
                        Die Szene zeigt, wie wichtig es ist, dass ein Assistent
                        nicht abschaltet, wenn das Spielgeschehen gerade nicht   Dennoch sollte möglichst kein offenes Fahnenzeichen
                        in seiner Hälfte stattfindet, sondern dass er den Rück-  erfolgen, sondern beim Einsatz von Headsets eine münd-
                        raum in der anderen Hälfte beobachtet und tätig wird,   liche Mitteilung an den Schiedsrichter. Werden keine
                        wenn er ein Vergehen wahrnimmt, das den Teamkolle-  Headsets verwendet, sondern nur Funkfahnen, ist ein
                        gen verborgen bleibt.                        akustisches Signal angemessen. Ohne technische Hilfs-
                                                                     mittel ist eine Verständigung über eine vorher verein-
                          6    TSV 1860 München – 1. FC Magdeburg    barte Zeichensprache sinnvoll.
                             (3. Liga, 25. Spieltag)
                        Im eigenen Strafraum geht der Magdeburger Jürgen   8    FC Augsburg – VfL Wolfsburg (26. Spieltag)
                        Gjasula mit einem „langen Bein“ zum Ball und spielt ihn   Nach einer Hereingabe köpft der Augsburger Felix
                        mit dem Fuß (Foto 6a). Von dort springt die Kugel an   Uduokhai (Foto 8a, gelber Kreis) den Ball von der Tor-
                        sein Knie und schließlich möglicherweise an die Hand   raumlinie aus aufs Wolfsburger Tor. In diesem Moment
                        (Foto 6b) – keine Kameraperspektive liefert hier einen   befindet sich sein Mitspieler Florian Niederlechner (Nr. 7)
                        zweifelsfreien Aufschluss. Der Schiedsrichter nimmt ein   im Abseits und duckt sich leicht, als der Ball in seine
                        Handspiel wahr und entscheidet auf Strafstoß, worauf-  Nähe kommt. Der Wolfsburger Torwart Koen Casteels
                        hin sich der Assistent auf dieser Spielfeldseite einschal-  reagiert dadurch verzögert und kann den Torerfolg nicht
                        tet. Nach persönlicher Rücksprache mit ihm revidiert   verhindern. Die Abseitsstellung ist strafbar, denn Nie-
                        der Unparteiische seine Entscheidung und setzt das   derlechner versperrt eindeutig die Sicht des Keepers
                        Spiel mit einem Schiedsrichter-Ball fort.    (Foto 8b) und beeinflusst so dessen Möglichkeit, den
                                                                     Ball zu spielen. Auf dem Feld nimmt das Schiedsrichter-
                        Das war regeltechnisch richtig. Selbst wenn Gjasula den   Team das Abseitsvergehen nicht wahr, deshalb greift
                        Ball kurz mit der Hand berührt haben sollte, läge kein   der Video-Assistent ein. Nach einem On-Field-Review
                        strafbares Handspiel vor. Denn er hat den Ball zuvor   wird der Treffer schließlich annulliert.
                        absichtlich mit dem Fuß gespielt, erst danach ist ihm
                        das Spielgerät – und das auch noch über einen Umweg –   Ob sich ein Angreifer in Abseitsposition im Sichtfeld
                        vielleicht an die Hand gesprungen. Damit war nach Regel   eines Gegners befindet und ihn so daran hindert, den
                        12 kein Vergehen gegeben.                    Ball zu spielen, ist für den Unparteiischen und seinen
                                                                     Assistenten auf dem Feld oft schwierig zu beurteilen.
                        Es ist bemerkenswert, dass der Assistent den Vorgang   Durch gutes Teamwork lassen sich aber auch solche
                        korrekt wahrgenommen hat, obwohl er nicht optimal   komplexen Situationen lösen: Der Assistent kann aus
                        positioniert war und zwangsläufig aus großer Distanz   seiner Perspektive beurteilen, ob eine Abseitsstellung
                        auf die Szene blickte. Am wichtigsten ist hier, dass eine   vorliegt, auch wenn er vielleicht nicht erkennt, ob der
                        falsche Entscheidung verhindert wurde. Auch die   betreffende Spieler die Sicht einer Gegners versperrt.
                        Besprechung mit dem Schiedsrichter von Angesicht zu   Beim Schiedsrichter ist es häufig umgekehrt: Er nimmt
                        Angesicht statt nur über das Headset ist in einer solch   eine mögliche Beeinflussung wahr, kann aber nicht
                        heiklen Szene aufgrund der besseren Außenwirkung   bewerten, ob eine Abseitsposition gegeben ist.
                        passend.
                                                                     Wenn beide Teammitglieder das, was sie erkennen,
                          7    VfL Osnabrück – SV Sandhausen         gegenüber dem jeweils anderen kommunizieren, setzt
                             (2. Bundesliga, 19. Spieltag)           sich ein vollständiges Bild zusammen. Werden keine
                        Nach einem Foulspiel der Osnabrücker im eigenen Straf-  Headsets eingesetzt, dann bleibt in einem solchen Fall
                        raum gibt es einen Strafstoß für den SV Sandhausen.   nur das direkte Gespräch zwischen Schiedsrichter und
                        Torwart Philipp Kühn hält den Schuss von Leart Paqa-  Assistent an der Seitenlinie.
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