Page 31 - DFB-Schiedsrichterzeitung
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Bestimmungen, so wie die Regeln insgesamt noch längst
nicht einheitlich waren.
Als 1863 in London der Englische Fußball-Verband FA
(Football Association) gegründet wurde, fand sich in den
nach längeren Diskussionen festgelegten 13 Regeln („Laws
of the Game“) kein Wort über die Funktion eines Unpar-
teiischen. Nach wie vor wurde Fußball vor allem von wohl-
habenden jungen Männern als Zeitvertreib gespielt, getra-
gen von Idealen wie Fairness und Gleichberechtigung. War Charles William
ein Team durch das Können seiner Akteure erkennbar bes- Alcock war einer der
großen englischen
ser, reduzierte es seine Spielerzahl. Fouls passierten äußerst Fußballpioniere – als
selten, schon gar nicht „deliberately“, also absichtlich. So Spieler, Schiedsrichter
war es nach dem Selbstverständnis der Akteure lange Zeit und Funktionär.
kein Problem für die Kapitäne, die wenigen Streitfälle res-
pektvoll zu klären. Was in diesen Spielen schon länger praktiziert wurde, legte
der englische Verband FA zur Saison 1881/82 in der neuen
Aber das Spiel blieb nicht den Eliteschulen und Universi- Regel 15 für alle Spiele der inzwischen rund 100 Klubs in
täten überlassen. Von London breitete es sich nach Nor- England fest. Danach mussten sich die Vereine auf einen
den in die Industriegebiete aus und erfasste die „working Schiedsrichter einigen, „dessen Aufgabe es ist, alle even-
class people“. Der Fußball, der hier gespielt wurde, war tuellen Streitfälle der Umpires zu entscheiden“. Dazu muss-
rauer und längst nicht immer gentlemanlike. Da war es ten sie sich offiziell an ihn richten: englisch „to refer to“,
gut, dass es für die Kapitäne in Streitfällen Ansprechpart- daher Referee; also derjenige, an den sich gerichtet wird.
ner gab: Zwei „Umpires“ pro Spiel wurden eingeführt, jede
Mannschaft musste einen benennen. Sie standen auf dem Diese Aufforderung war bis in jene Zeit das Entscheidungs-
Spielfeld, griffen aber nur ein, wenn die Kapitäne sie um prinzip des Fußballs. „To appeal to somebody“, etwa:
eine Entscheidung baten. je manden dringend bitten, an ihn appellieren, bezog sich
auf das Verhalten der Spieler zu den Kapitänen, diese wie-
Um keine Verwirrung zu stiften, bleiben wir in diesem Text derum zu den Umpires und dieser nun zum Referee. Man
beim englischen Begriff „Umpire“. Er ist aus dem mittel- musste also laut werden, um eine Entscheidung herbei-
englischen „noumpere“ (in etwa: Unparteiischer) entstan- zuführen. Das ist heute zwar verpönt, aber vielleicht steckt
den. Für „Referee“ nutzen wir überwiegend das deutsche die „Meckerei“ doch schon seit der Frühzeit in den Genen
Wort Schiedsrichter. des Fußballspiels …
Mit Beginn der 70er-Jahre des 19. Jahrhunderts entwi- Weiter heißt es 1881 über den Schiedsrichter: „Er soll sich
ckelte sich der Wettbewerbscharakter des Fußballs immer Notizen zum Spielverlauf machen und als Zeitnehmer fun-
deutlicher. Die Zeiten, in denen nur zum reinen Zeitver- gieren. Im Falle eines unsportlichen Verhaltens eines der
treib auf Basis einvernehmlicher Tugenden gespielt wurde, Spieler soll er den Übeltäter im Beisein der Umpires ver-
gingen zu Ende. Vor allem die Einführung des FA Cups, warnen. Und im Falle eines gewalttätigen Verhaltens hat
von Charles William Alcock erfunden und in der Saison der Schiedsrichter die Befugnis, diesen Spieler des Feldes
1871/72 erstmals ausgetragen, trug dazu bei. Der Pokal- zu verweisen …“ Im Gentleman-Outfit:
charakter – nur bei Sieg bleibt man im Wettbewerb – ließ Der Schiedsrichter der
schon immer die Emotionen hochgehen. Im Jahr darauf folgte als Regel 16 die Ergänzung, dass der 1880er-Jahre stand
am Spielfeldrand
Schiedsrichter das Spiel von sich aus unterbrechen kann, und konnte zunächst
Sir Stanley Rous, in den 1930er-Jahren FIFA-Präsident, wenn Zuschauer stören oder gar in das Geschehen auf nicht direkt ins Spiel
berichtet in seinem Buch „Laws of the Game“, dass in den eingreifen.
Halbfinals und im Endspiel des FA Cups außer den beiden
Umpires auch ein Schiedsrichter (Referee) dabei war, eine
weitere Instanz, die bei Uneinigkeit der Umpires die letzte
Entscheidung hatte. In dieser Dreier-Konstellation wurden
auch die Länderspiele zwischen England und Schottland
geleitet, die ab 1872 jährlich stattfanden. Ein Umpire aus
jedem Land, den Schiedsrichter stellte jeweils der Gast-
geber.
Das Trio bestand häufig aus noch aktiven Spielern, die
zugleich eine Funktion in ihren Verbänden hatten. So war
der schon genannte Charles Alcock in seiner Funktion als
FA-Sekretär bei der Länderspiel-Premiere am 30. Novem-
ber 1872 als Umpire dabei, nachdem er im Frühjahr als
Kapitän des Wanderers FC den FA Cup gewonnen hatte.
Auch FA-Präsident Major Francis Marindin, der dem Armee-
klub Royal Engineers angehörte, kam als Schiedsrichter
und Umpire bei den folgenden Partien zum Einsatz.