Page 11 - DFB-Schiedsrichterzeitung 06-2018
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Bei uns war es umgekehrt: Wir haben zu Beginn der ver- darf die Entscheidung vom Feld in das Video-Assist-
gangenen Saison gesagt, das wird top funktionieren, Center in Köln verlagert werden. Der Video-Assistent
wir haben ja ein Jahr Vorbereitung hinter uns, wir haben kann laut Protokoll ja erst dann eingreifen, wenn die
die Video-Assistenten geschult. Doch dann lief es eben Entscheidung vom Schiedsrichter getroffen wurde. Die
nicht so gut, und darüber waren viele enttäuscht. Wahrnehmung des Schiedsrichters muss für den Video-
Assistenten die Basis bei der Betrachtung der Bilder sein.
Viele Zuschauer in den Stadien klagten in der vergan- Er muss abgleichen, ob diese Bilder mit dem überein-
genen Saison darüber, oft nicht zu wissen, warum es stimmen, was der Schiedsrichter gerade entschieden
zu einem Eingriff durch den Video-Assistenten kommt hat. Wenn nicht, muss er das dem Schiedsrichter mit-
und gegebenenfalls eine Entscheidung geändert wird. teilen. Aufgrund dieser Information kann der Schieds-
Bei der WM wurden nach einem On-Field-Review die richter dann festlegen, ob er sich die Situation noch
Bilder auf der Videowand gezeigt, in der Bundesliga einmal am Monitor anschaut. Das kann der Video-Assis-
ist das weiterhin nicht der Fall. Warum nicht? tent aber nicht einfordern oder gar erzwingen, er kann
Wir Schiedsrichter haben von Anfang an gesagt: Wir nur eine Empfehlung aussprechen. Die letzte Entschei-
wollen, dass diese Szenen auf der Videowand gezeigt dung trifft immer der Schiedsrichter. Zur Verbesserung
werden, um transparent zu machen, warum eine Ent- der Kommunikation im Team schauen wir übrigens auch
scheidung mithilfe des Video-Assistenten geändert über den Fußball hinaus. Wir haben beispielsweise zwei
wurde oder auch bestehen blieb. Denn das würde zu Piloten der Lufthansa eingeladen, von denen wir uns
einer größeren Akzeptanz dieses Hilfsmittels führen. Es Informationen einholen, wie bei ihnen der Kommuni-
gibt bei uns aber ein Problem: Bei der WM hatte die FIFA kationsprozess abläuft. Denn das sind ja Leute, die in
die Hoheit über die Bedienung der Videowände im Sta- Stresssituationen ganz klare Kommunikationsregeln
dion. Da konnte man problemlos genau das präsentie- verfolgen. Das ist auch unser Ziel: klare Richtlinien zu
ren, was man zeigen wollte. In Deutschland dagegen erarbeiten, wer mit wem wie kommuniziert.
sind die Klubs verantwortlich für die Anzeigetafeln. Das
heißt, wir müssten teilweise mehrere Umwege gehen,
um an die Leute heranzukommen, die etwas auf die „Die Arbeit als Video-Assistent
Videowand projizieren. Hinzu kommt, dass manche die
Vorgänge bei einem Eingriff durch den Video-Assisten- erfordert ein hohes Maß an
ten vielleicht nicht richtig einordnen können und dann
womöglich Bilder auf der Videowand gezeigt werden, Flexibilität und ein sehr gutes
die eine Situation nicht aufklären oder mehr verwirren
als klarstellen. Rollenverständnis.“ Dr. Jochen Drees
Nach dem ersten Bundesliga-Spieltag dieser Spielzeit
haben Sie eingeräumt: „Das war sicherlich kein glück-
licher Start in die neue Saison. Das Wochenende hat Der Video-Assistent darf gemäß dem IFAB-Protokoll
gezeigt, dass es doch noch ein paar Probleme gibt, an nur bei klaren und offensichtlichen Fehlern des
denen man arbeiten muss.“ Welche Probleme waren Schiedsrichters eingreifen. Aber bei vielen Entschei-
das? dungen existiert ein Graubereich, es ist also nicht
Zum einen war die Kommunikation nicht optimal – die immer eindeutig zu bestimmen, was klar und offen-
zwischen den Video-Assistenten und den Schiedsrich- sichtlich falsch ist. Genau das sorgt immer wieder
tern, aber auch die zwischen den Video-Assistenten und für hitzige Debatten und Unzufriedenheit. Kann man
ihren Assistenten sowie den Operatoren im Video-Assist- dieses Problem lösen?
Center. Dadurch haben drei, vier Szenen am ersten Spiel- Das ist eine große Aufgabe, die wir da zu bewältigen
tag zu einem unglücklichen oder fehlerhaften Ablauf haben. Es gibt nur ganz wenige Schwarz-Weiß-Entschei-
geführt. Zum anderen sind am ersten Spieltag alle ganz dungen und sehr viele Interpretationsentscheidungen,
besonders motiviert. Jeder will es perfekt machen, und bei denen der eine Schiedsrichter so und der andere
dann ergeben sich manchmal Situationen, in denen man anders urteilt. Für die Video-Assistenten heißt das: Wenn
es ein bisschen übertreibt. Es gab am ersten Spieltag der Schiedsrichter eine Entscheidung trifft, die ihnen
gleich zehn On-Field-Reviews, das heißt: Zehnmal ist nicht gefällt und die sie anders treffen würden, bei der
der Schiedsrichter an den Monitor gegangen. Das lag es aber einen Ermessensspielraum gibt, müssen sie
vielleicht auch daran, dass wir auf dem Sommerlehrgang sagen: Es gibt eben auch Argumente, die für die getrof-
gesagt haben: Wir wollen den Schiedsrichter stärken, fene Entscheidung sprechen, deshalb bleibt es jetzt
also bindet ihn als Video-Assistenten in eure Überprü- dabei, schließlich war sie nicht klar und offensichtlich
fungen ein. Deswegen kam es zu dieser Flut von On- falsch. Das erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und
Field-Reviews, die wir in dieser Form in der Rückrunde ein sehr gutes Rollenverständnis. Es ist auch ein Lern-
nicht hatten. und Gewöhnungsprozess für die Schiedsrichter, an einem
Wochenende die Entscheider auf dem Platz zu sein und
Wie sollte die Kommunikation zwischen dem Schieds- sich am nächsten Wochenende im Video-Assist-Center
richter und dem Video-Assistenten denn idealerweise in Köln bei Entscheidungen, die interpretierbar sind,
ablaufen? Was teilt der Video-Assistent dem Schieds- zurückhalten zu müssen. Der Video-Assistent soll am
richter auf dem Feld mit? besten im Hintergrund bleiben. Jeder soll wissen: Es
Der Video-Assistent muss genau wissen, was der Schieds- gibt ihn, und er ist dafür da, dass die großen, wirklich
richter auf dem Feld entschieden hat. Auf keinen Fall relevanten Fehlentscheidungen herausgefiltert werden.