Page 32 - DFB-Schiedsrichterzeitung 05-2020
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gewesen. Ich durfte den Fußball auf gutem Niveau in
seiner ganzen Schönheit erleben. Als Schiedsrichter ver-
suchst du, das Spiel mit deinem Wissen und Gewissen
bestmöglich zu gestalten. Mich hat das Pfeifen unfass-
bar zufrieden gestellt.“ Auch beim Verband engagierte
er sich, wurde Lehrwart. Immer wenn Knut Kircher frü-
her in der Bundesliga pfiff, schaute er besonders gerne
hin. Dabei glaube er nicht an Vorbilder, weil man sich
als Schiedsrichter unbedingt selbst treu bleiben müsse.
Etwas mehr als 260 Spiele leitete er, dann war er ver-
gangenes Jahr aus privaten Gründen gezwungen, eine
längere Pause einzulegen. Er wurde an anderer Stelle
gebraucht. Bitter klingt es, wenn er sagt: „Das Spiel
Münster gegen Semd sollte eigentlich mein Restart sein.
Jetzt ist es mein letztes Spiel gewesen.“
Nur 0,03 Prozent aller Spiele in Deutschland mussten
in der zurückliegenden Saison abgebrochen werden.
Und lediglich bei 0,45 Prozent meldeten die Schieds-
richter über den Online-Spielbericht einen Gewalt- oder
Diskriminierungsvorfall. Im 6. DFB-Lagebericht Ama-
teurfußball stellen beide Prozentzahlen Tiefstwerte dar.
„Die Gewalt auf den Plätzen nimmt nicht zu“, bilanziert
Prof. Dr. Gunter Pilz, seit vielen Jahren der bekannteste
Fan- und Gewaltforscher im Fußball. Dr. Rainer Koch,
1. DFB-Vizepräsident und der einzige Vertreter des deut-
schen Fußballs im Exekutivkomitee der UEFA, sagt:
„Jeder einzelne Vorfall ist einer zu viel – und jeder Vor-
fall muss aufgearbeitet werden. Wir wissen aber auch, Zehn Jahre lang hatte Nils Czekala zuvor Freude an der
dass der Amateurfußball unterm Strich geregelt abläuft. Schiedsrichterei.
Mittels des Lagebildes können wir fallende Quoten für
Störungen insgesamt, für Gewaltvorfälle, für Diskrimi- Gewalt-Training auferlegt. Das Amtsgericht Dieburg
nierungsvorfälle und für Spielabbrüche feststellen.“ verurteilte den Täter anschließend zu 15 Monaten Haft,
Dabei muss einschränkend festgehalten werden, dass ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, sowie zu 3.500 Euro
die diesjährigen Zahlen bedingt durch die vielen aus- Schmerzensgeld und 200 Stunden gemeinnütziger Arbeit.
gefallenen Spiele an Aussagekraft einbüßen.
Nichts davon bringt Nils Czekala sein Hobby zurück. Er
hat seitdem kein Spiel mehr geleitet. Zweimal hat er so
„Ich würde mir wünschen, dass getan, als ob er am nächsten Tag für eine Partie einge-
teilt wäre, hat sich die Tabellen-Konstellation angeschaut,
den Bericht der Hinrunden-Partie durchgelesen, sich
Vereine präventiv aktiver werden.“
vorgestellt, mit den Mannschaften aufzulaufen. Er hat
Nils Czekala seine Rückkehr simuliert. Zu Hause am Schreibtisch sit-
zend wurde er nervös, der Schweiß brach ihm aus.
Übergeordnet greift das Gewaltpräventions-Konzept
„Fair ist mehr“, das auch im Masterplan verankert wurde. Was bleibt also? Was ist verloren gegangen? Und was
Zum Jahresbeginn gründete der DFB unter Vorsitz von müsste sich endlich ändern?
DFB-Vizepräsident Ronny Zimmermann die Projekt-
gruppe „Gewalt gegen Schiedsrichter“. Infos bekannt „Der Verein des Täters hat im Nachhinein alles richtig
machen, das ist ein Aufgabenbereich der Projektgruppe. gemacht“, sagt Nils Czekala. „Aber ich würde mir wün-
So bieten die meisten Landesverbände den Schieds- schen, dass Vereine präventiv aktiver werden. Dass der
richter*innen die Möglichkeit einer kostenfreien Rechts- Spieler aggressiv unterwegs war, müssen doch auch
versicherung an, doch viele kennen das Angebot gar andere gesehen haben. Spätestens nach der Gelben
nicht. Derzeit lässt die Projektgruppe durch die Univer- Karte. Warum wurde er also nicht ausgewechselt?“
sität Tübingen alle gewaltbedingten Spielabbrüche der
Spielzeiten 2018/2019 und 2019/2020 analysieren, um Czekala sagt weiter: „Schon ab dem Bereich der B-Juni-
so besondere Problembereiche aufzuspüren. Das Spiel oren testen die Spieler den Schiedsrichter. Fast für jeden
Münster gegen Semd zählt dazu. Pfiff wird inzwischen eine Erklärung eingefordert. Das
kann nicht richtig sein.“ Er höre zu viele Sonntagsreden
Obwohl es ihm schwerfiel, war Nils Czekala bei der Ver- und Lippenbekenntnisse, er spüre zu wenig aufrechte
handlung und der Urteilsverkündung im Gerichtssaal Überzeugung. Sein ernüchterndes Fazit: „Warum klappt
dabei. Er sagte aus. Der Täter entschuldigte sich persön- es denn bei anderen Sportarten? Die Wertschätzung für
lich bei ihm, er nahm die Entschuldigung an. Das Sport- uns Fußball-Schiedsrichter wird bei den meisten Verei-
gericht hatte drei Jahre Spielsperre verhängt und ein Anti- nen nicht gelebt.“