Page 30 - DFB-Schiedsrichterzeitung 05-2020
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„EIN ANGRIFF AUF DEN
AMATEURFUSSBALL“
Der Fall löste ein landesweites Echo aus. Unter
dem Strich bleibt ein schmerzlicher Verlust und
für den Vereinsfußball dringender Handlungs-
bedarf. Neun Monate nach der Tat, von der halb
Deutschland das Handyvideo sah, traf sich Nils
Czekala mit der DFB-Schiedsrichter-Zeitung zum
Gespräch über Gewalt gegen Schiedsrichter, die
bei den Tätern allzu oft aus einer zutiefst fahr-
lässigen Gedankenlosigkeit entsteht.
TE X T ie Bilder des brutalen Schwingers, des wegtän- Mittelfeldspieler Hayri G. nach wiederholtem Foulspiel
Thomas Hackbarth zelnden Gewalttäters und des Notfallhubschrau- „Gelb/Rot“. Doch der geht nicht vom Platz.
D bers auf einem Fußballplatz gingen zwei Tage
lang durch die Medien. Fernsehsender, die Tagespresse „Er war in der Halbzeit eingewechselt worden. Damit
und Hunderte Social-Media-Kanäle – alle berichteten. kippte das Spiel, es wurde ruppiger. In der Situation selbst
Millionen sahen das Handyvideo. Nils Czekala (23) hatte er null Chance, an den Ball zu kommen, trotzdem
mochte damals keine Interviews geben, wollte erst mal grätschte er. Ich wollte ihm die Gelb/Rote Karte zeigen,
seine Ruhe haben, während Journalisten versuchten, dann ist bei mir bis heute der Riss. Ich war wohl nur 15
„mich über alle möglichen Kanäle zu erreichen“. Auch Minuten bewusstlos, aber die erste Erinnerung habe ich
um die Dinge richtig einzuordnen, postete er stattdes- erst wieder, als meine Eltern abends am Krankenbett
sen diese beiden bemerkenswerten Sätze: „Es war nicht standen. An den Nottransport per Hubschrauber in die
nur ein Angriff auf mich als Schiedsrichter. Das war ein Uniklinik Mainz habe ich keinerlei Erinnerung“, erzählt
Angriff auf unseren Amateurfußball.“ Und weiter schrieb Czekala, „dabei war das mein erster Flug überhaupt.“
er: „Ich distanziere mich von jeglichen Angriffen auf den
gesamten Verein oder die Familie des Täters. Ich distan- Ein Pulk Spieler, mittendrin Hayri G., dessen weit ausge-
ziere mich auch klar von der Debatte über die Nationa- holter Schwinger den Schiedsrichter mit voller Wucht an
lität/Herkunft des Spielers.“ der linken Schläfe traf. „Brutal und rücksichtslos“ nannte
der Richter den Schlag und bewertete die Tat als eine „das
Neun Monate nach der Gewalttat und vier Wochen nach Leben gefährdende Handlung“. Die medizinische Sachver-
dem Urteil des Amtsgerichts Dieburg hat sich Czekala ständige sah es genauso. Eine erfolgreiche Schiedsrichter-
bereit erklärt, mit der „Schiedsrichter-Zeitung“ über die Laufbahn endete – auf einen Schlag. Mit zwölf Jahren und
Tat, die möglichen Ursachen und Folgen zu sprechen. damit dem frühestmöglichen Einstiegsalter hatte er sein
Ob er noch mal ein Fußballspiel leiten wird? Er kann es erstes Spiel geleitet. „Anfangs war es ein Spaß. Jemand
sich nicht mehr vorstellen. fragte mich, ich sagte so nebenbei ‚okay‘ und schon ging
Rein körperlich hat es los.“ Als Spieler sei er nie sonderlich gut gewesen. „Bald
Schiedsrichter Nils Zurück zum Anfang: Am 27. Oktober 2019 zeigt Nils war beim Fußball die Schiedsrichterei mein Alles.“
Czekala den Angriff Czekala, der als Referee meist in der Kreisoberliga und
überstanden – an ein
Comeback auf dem als Assistent auch in der Landesliga eingesetzt wurde, Was hatte ihn für den Job als Unparteiischer so sehr
Platz ist aber dennoch in der 85. Minute des Kreisliga-C-Spiels FSV Münster eingenommen? „Alleine der Fußball“, antwortet er. „Als
nicht zu denken. gegen TV Semd beim Stand von 0:2 dem Münsteraner Spieler wäre ich doch niemals in diesen Ligen unterwegs