Page 27 - DFB-Schiedsrichterzeitung 05-2020
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Spielleitung, das Adrenalin, kennt aber gleichzeitig die Ittrich. Auf insgesamt 224 Seiten erzählt der Hamburger
Albträume und die innere Leere, wenn er ein Spiel so Schiedsrichter vom Verein mit dem charmantesten
richtig in den Sand gesetzt hat. Namen im deutschen Fußball (dem Mümmelmannsber-
ger SV) von seinem Weg als Schiedsrichter. Von seinem
E INE B E ME RK E NS W E R T E N A H AU F N A HME Werdegang, der 1994 bei den F-Junioren begann und
ihn bis in die größten Stadien Deutschlands führte. Von
Der jüngste Zuwachs in der Familie der Schiedsrichter- Stress und von Begeisterung. Vom Umgang mit Spielern
Bücher ist nun „Die richtige Entscheidung“ von Patrick und Trainern. Von Spielleitungen, die sich ihm beson-
„Ich möchte, dass möglichst viele Leute Schiedsrichter werden“
Es gibt ja schon einige Schiedsrichter-Bücher, die allermeisten schiede zwischen damals und heute sind. Und er ist ein wahnsinnig
sind aber erst erschienen, nachdem die Autoren ihre aktive Kar- feiner Mensch.
riere beendet hatten. Warum kommt deines schon jetzt? Bist du
nicht ausgelastet? Das Buch ist entstanden in Zusammenarbeit mit dem Sportjour-
nalisten Mats Nickelsen, wie sah die Zusammenarbeit aus?
Patrick Ittrich: (lacht) Nein, ich bin sehr ausgelastet. Aber ich bin ein
Tausendsassa und ich mag es, etwas zu tun zu haben. Das mal vor- Ittrich: Wir haben wirklich stundenlang zusammengesessen, ich
weg. Bei den Büchern, die nach der aktiven Karriere entstanden sind, glaube, es gibt insgesamt rund 35 Stunden Audio-Material von
habe ich immer so ein bisschen das Gefühl, da sagen Leute alles, unseren Gesprächen. Wir sind aber sehr strukturiert Kapitel für Kapi-
was sie vorher nicht sagen durften. Das ist bei mir nicht der Fall, weil tel vorgegangen. Manchmal haben wir uns bei ihm getroffen, manch-
ich niemand bin, der nach der Karriere etwas sagen würde, was er mal bei mir. Meine Frau hat dann immer gekocht, dafür war seine
nicht auch jetzt schon sagen würde. Ich habe nichts zu verstecken. Mutter auch immer sehr dankbar (lacht). Ich kenne Mats Nickelsen,
Auch das ist aber nur ein Nebengrund. Vor allem wollte ich die Ant- seitdem er mich nach meinem Bundesliga-Aufstieg interviewt hat,
worten auf die vielen Fragen aufschreiben, die man als Schiedsrich- wir haben ein Vertrauensverhältnis. Mir war es wichtig, dass der Co-
ter oft nur zwischen Tür und Angel gestellt bekommt: „Ihr müsst Autor jemand ist, der die Schiedsrichterei versteht und dem ich
einen Tag vorher anreisen? Wie läuft das eigentlich genau mit dem nicht alles noch mal neu erklären muss.
Video-Assistenten? Wie ist eigentlich der Umgang mit Spielern?“
Diese Fragen kommen ja immer wieder, sowohl von Schiedsrichtern Auch von dem Buch abgesehen, bist du ja ein ziemlich kommu-
als auch von Außenstehenden. Darauf mal ein paar Antworten zu nikativer Typ, du sprichst viel mit Medien, auch nicht nur mit den
geben, war der Hauptgrund, dieses Buch zu schreiben. großen. Ist dieses Buch für dich jetzt so ein weiterer Schritt, den
Schiedsrichter in der Öffentlichkeit irgendwie menschlicher zu
Also einmal die FAQ, die frequently asked questions in Buchform? machen?
Ittrich: Ja, das kann man so ausdrücken, ganz genau. Und ich glaube, Ittrich: Ja, genau. Ich mag das einfach. Es mag auch viele geben,
dass ich durch meine Erfahrungen, durch Verletzungen, durch Rück- die sagen: „Der macht zu viel“, das mag auch vielleicht sein, aber
schläge, aber auch durch Aufstiege der Allgemeinheit gut vermit- ich finde das gut und wichtig, dass wir als Schiedsrichter in der
teln kann, was es eigentlich heißt, Schiedsrichter zu sein. Öffentlichkeit anders gesehen werden, als das über viele Jahrzehnte
der Fall war. Als Geheimbund zum Beispiel. Das finde ich erschre -
Hast du persönlich denn eigentlich Schiedsrichter-Bücher gele- ckend und deswegen muss man da gegensteuern und den Schieds-
sen? richter so darstellen, wie er wirklich ist, nämlich als Menschen und
nicht als Außerirdischen. Der Grundgedanke dieses Buches ist aber
Ittrich: Kein einziges. Außer das Buch von Christoph Schröder („ICH eigentlich auch, Schiedsrichter zu akquirieren. Ich möchte einfach,
PFEIFE!“, Anm. d. Red.). Das finde ich sogar sehr gut und sehr authen- dass viele Leute Schiedsrichter werden. Und da ist mir auch egal,
tisch, sicher auch, weil er selbst ja noch pfeift. in welcher Sportart.
In deinem Buch erzählst nicht nur du, sondern du unterhältst dich Jetzt ist das Buch erschienen – wie machst du das eigentlich beim
zwischendurch auch mit Trainer Dieter Hecking und dem frühe- nächsten Trainingslager, bringst du da eine Kiste mit den Büchern
ren Schiedsrichter Aron Schmidhuber. Warum gerade die beiden? für die Kollegen mit, oder sollen die das alle mal schön selbst
kaufen?
Ittrich: Dieter Hecking ist ein sehr erfahrener Trainer, der auch schon
als Referent bei uns Schiedsrichtern zu Gast war. Er kennt also auch Ittrich: (lacht) Nein, nein, ich werde schon alle aus meinem Umfeld,
die Schiedsrichter ein bisschen. Darüber hinaus hat er in meinen die das Buch haben wollen, damit versorgen. Ich glaube aber, dass
Augen eine extrem hohe Kompetenz, weil er über jede Menge die Bundesliga-Schiedsrichter, wenn sie das Buch lesen, sich selbst
Lebens- und Trainererfahrung verfügt. Bei Aron Schmidhuber ist es darin finden. Natürlich hat jeder seine eigene Geschichte – und die-
ähnlich. Viele junge Schiedsrichter kennen ihn wahrscheinlich gar ses Buch erzählt meine, es ist ja kein DFB-Buch –, aber ich denke
nicht mehr, und das darf eigentlich nicht sein. Aron Schmidhuber schon, dass jeder einen Aha-Effekt hat und sagt: „Ja, stimmt.“ Und
war „Welt-Schiedsrichter“, ein großer Schiedsrichter der deutschen ich hoffe, dass das Buch einfach grundsätzlich positiv aufgenom-
Historie, und er hat eine Zeit erlebt, in der man in der Bundesliga men wird, auch unter meinen Kollegen. Bisher ist die Resonanz
noch für 72 Mark gepfiffen hat. Deswegen war er für mich der per- relativ gut, einige haben auch einen Gastauftritt – aber die sind alle
fekte Ansprechpartner, um mal klarzumachen, wie groß die Unter- informiert …