Page 28 - DFB-Schiedsrichterzeitung 05-2020
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       Auch die früheren   ders eingeprägt haben. Von
       Bundesliga-Referees   großen Spielen – aber auch
       Bernd Heynemann und   von Spielen, die ihm kräftig
       Markus Merk brachten   aus der Hand rutschten, wie
       in der Vergangenheit
       eigene Bücher raus.  die  Begegnung  zwischen
                        Wolfsburg  und  Schalke  im
                        Jahr 2018 (siehe Seite 26).

                        Diese  Nahaufnahmen  sind
                        bemerkenswert, weil sie den
                        Leser sehr nah ranlassen. Liest
                        man diese Zeilen, kommt es
                        einem so vor, als sähe man
                        Ittrich tatsächlich auf der Bank in seiner Kabine sit-  glaube, man nimmt es jemandem eher ab, der selbst
                        zen, den Kopf womöglich in die Hände gestützt.  noch aktiv ist, als jemandem, der schon zehn Jahre raus
                                                                     aus dem Geschäft ist. Außerdem wollte ich nicht so wir-
                        Protokolliert  und  in  Buchform  gebracht  hat  diese   ken, als könnte ich das, was ich zu sagen habe, erst nach
                        Schiedsrichterkarriere im Brennglas der Sportjournalist   dem Ende meiner aktiven Karriere sagen. Ich habe nichts
                        Mats Nickelsen, zu dem Ittrich seit seinem Aufstieg in   zu verstecken.“
                        die Fußball-Bundesliga ein Vertrauensverhältnis pflegt.
                        „Mir war es wichtig, dass der Co-Autor jemand ist, der   Dass es nun ausgerechnet Ittrich ist, der aus der Riege
                        die Schiedsrichterei versteht und dem ich nicht alles   der aktiven Bundesliga-Schiedsrichter zum Autor wird,
                        noch mal neu erklären muss“, sagt Ittrich (vollständiges   ist nicht unbedingt überraschend. Der Hamburger ist
                        Interview: siehe Kasten), „wir haben uns stundenlang   ein kommunikativer Typ, spricht mit Medien und lässt
                        zusammengesetzt, dabei sind wir aber sehr strukturiert   Einblicke zu – er ist ein Segen für die deutsche Schieds-
                        Kapitel für Kapitel durchgegangen.“ Aus rund 35 Stun-  richterszene, der jahrzehntelang das (wohlverdiente)
                        den Audiomaterial ist anschließend das Buch entstan-  Image einer Wagenburg anhaftete. Die Schiedsrichter-
                        den.                                         kommission hat in den vergangenen Jahren erfolgreich
                                                                     daran gearbeitet, dieses Bild zu korrigieren – und Schieds-
                        D E R P F E I F E N D E AU T O R             richter wie Patrick Ittrich helfen dabei mit: „Ich finde es
                                                                     erschreckend, dass wir in der Öffentlichkeit über Jahr-
                        Dass ein Bundesliga-Schiedsrichter innerhalb seiner   zehnte wie ein Geheimbund gesehen wurden. Da muss
                        aktiven Karriere zum Buchautor wird, ist ungewöhnlich.   man gegensteuern und das geht nur, indem man den
                        Die meisten Schiedsrichter-Bücher sind erst im Spät-  Schiedsrichter darstellt, wie er wirklich ist: als Menschen
                        herbst oder nach dem Ende der aktiven Karriere des   und nicht als Außerirdischen.“
                        Verfassers entstanden. Mit mangelnder Auslastung habe
                        das aber nichts zu tun, sagt Ittrich: „Ich bin ein Tausend-  E I N A H A- E F F E K T F Ü R J E D E N
                        sassa und ich habe einfach immer gerne etwas zu tun.
                        Vor allem wollte ich aber mal die Antworten auf die vie-  Die  menschliche  Darstellung  des  Protagonisten  ist
                        len, vielen Fragen aufschreiben, die man als Schieds-  sicherlich eine der größten Stärken am Buch von Patrick
                        richter oft nur zwischen Tür und Angel gestellt bekommt:   Ittrich. Als Leser hat man nicht das Gefühl, einen unnah-
                        ‚Ihr müsst einen Tag vorher anreisen?‘ ‚Wie läuft das   baren Bürokraten über die Plätze der Republik zu beglei-
                        eigentlich genau mit dem Video-Assistenten?‘ ‚Wie ist   ten, sondern einen Menschen aus dem Leben. Ittrich
                        eigentlich der Umgang mit Spielern?‘ Diese Fragen kom-  selbst sagt: „Jeder Schiedsrichter wird sich in diesem
                        men ja immer wieder, sowohl von Schiedsrichtern als   Buch wiederfinden. Jeder, der das Buch liest, hat einen
                        auch von Außenstehenden. Darauf mal ein paar Antwor-  Aha-Effekt, weil es Stellen geben wird, an denen er sagt:
                        ten zu geben, war eigentlich der Hauptgrund, dieses   ‚Ja, stimmt.‘“ Damit hat er recht, und darüber hinaus
                        Buch zu schreiben.“                          gelingt es ihm, nicht nur Schiedsrichtern spannende
                                                                     Einblicke in den Alltag im Profifußball zu geben, son-
                        Diese frequently asked questions noch in seiner aktiven   dern auch bei allen anderen Begeisterung für das Amt
                        Zeit zu beantworten, sieht Ittrich sogar als Vorteil. „Ich   des Schiedsrichters zu wecken.

       Beim Schreiben                                                Eingestreut in die Schilderungen sind Gespräche mit
       wurde Patrick Ittrich                                         dem Bundesliga-Trainer Dieter Hecking und dem frühe-
       von Mats Nickelsen                                            ren FIFA-Schiedsrichter Aron Schmidhuber, die ebenfalls
       unterstützt.
                                                                     interessante Einblicke beisteuern. Auch einige Bundes-
                                                                     liga-Schiedsrichter haben in „Die richtige Entscheidung“
                                                                     kurze Gastauftritte. Insgesamt ist es Ittrich allemal gelun-
                                                                     gen, dem Feld der Schiedsrichter-Bücher eine berei-
                                                                     chernde Facette hinzuzufügen. Der Vorwurf, von seinen
                                                                     prominenten Vorgängerautoren abgekupfert zu haben,
                                                                     ist ihm dabei übrigens per se nicht zu machen – mit
                                                                     Ausnahme der Erzählung von Christoph Schröder hat
                                                                     Ittrich selbst kein einziges Schiedsrichter-Buch gelesen.
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