Page 5 - DFB-Schiedsrichterzeitung 01-2020
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          Die Sängerin Trude Herr mag Recht gehabt haben:

          Niemals geht man so ganz. Auch Bibiana Stein-

          haus wird dem DFB nach ihrem Karriereende als
          Video-Assistentin erhalten bleiben. Dennoch:

          Durch ihren Rücktritt verliert die Bundesliga eine

          der profiliertesten Schiedsrichter*innen im

            Oberhaus.







                  er in den Tagen der Pandemie Menschen   richter oder eine Schiedsrichterin – auch noch extrem   TE X T
                  begegnet und sie nach ihrem Befinden fragt,   positiv ausfiel. Bibiana Steinhaus hatte schon zuvor als   Tobias Altehenger
          W der bekommt oft zur Antwort: „Es muss ja“,   verbindliche Vierte Offizielle überzeugt, gerne in Top-
          „Es nervt langsam“ oder „Es zieht mich schon irgend-  Spielen mit den Problemkindern unter den Trainern. Nun
          wie ziemlich runter, diese ganze Situation, weißt du?   tat sie es also auch als Spielleiterin mit Übersicht und
          Außerdem gibt’s wieder kein Toilettenpapier mehr und   einem fabelhaften Konfliktmanagement. Schon in ihrem
          ich frag mich wirklich, was falsch mit den Leuten ist.“   ersten Spiel in der Bundesliga zeigte sie nur eine Ver-
          Ein knappes Jahr schlagen wir uns jetzt in Deutschland   warnung, ein Trend, der sich im Laufe der Zeit fortsetzte.
          mit dem Coronavirus rum – und vielen drückt diese   In ihren insgesamt 23 Bundesliga-Spielen zeigte sie im
          Situation aufs Gemüt. Vielleicht auch deshalb, weil es   Schnitt drei Gelbe Karten und musste keinen einzigen
          so scheint (oder tatsächlich so ist), dass von der Zeit,   Platzverweis aussprechen. Manch anderer Schiedsrich-
          die uns sonst oft so knapp erscheint, plötzlich viel mehr   ter hätte sich über solch eine Statistik gefreut, konnte
          da ist. Zeit im Überfluss, wie gruselig. Keine Partys,   davon aber in den ersten Jahren einer neuen Spielklasse
          keine Events, keine Konzerte – plötzlich Zeit zum Nach-  nur träumen.
          denken, zum Sortieren, zum Hinterfragen. Das kann
          einen ängstigen, überfordern und vielleicht sogar ver-  Dabei war es nicht nur Souveränität, die Bibiana Stein-
          stören.                                     haus auszeichnete, sondern auch eine bewundernswerte
                                                      Coolness – insbesondere in Situationen, die auch einen
          Oder aber: Es beflügelt einen. Denn es gibt auch andere   prekären Ausgang hätten nehmen können. Ob Berlins
          Meinungen. Endlich, sagen manche, endlich können wir   Peter Niemeyer bei einem freundschaftlichen Klaps ver-
          uns genau überlegen, was wir eigentlich wollen, wo wir   sehentlich ihre Brust touchierte, Bayerns Franck Ribéry
          stehen, was uns noch glücklich macht (und was nicht).   ihr den Schnürsenkel öffnete oder dessen Trainer Pep
          An der Corona-Situation können wir gerade nicht viel   Guardiola ihr paternalistisch die Hand auf die Schulter
          ändern, an uns selbst indes so viel wie eh und je. Und   legte, Bibiana Steinhaus blieb cool, jedes Mal. Mit die-
          vielleicht ist gerade jetzt die Zeit, es auch tatsächlich   ser Ausstrahlung (und natürlich mit den von richtigen
          zu tun.                                     Entscheidungen geprägten Spielleitungen) erarbeitete
                                                      sie sich in den vergangenen Jahren ein Standing in der
          Bibiana Steinhaus scheint der zweiten Gruppe anzuge-  Fußball-Bundesliga, das erklärt, warum sie so viele ver-
          hören. Denn die viermalige „Welt-Schiedsrichterin des   missen werden. Alleine auf YouTube gibt es inzwischen
          Jahres“ hat die Corona-Zeit genutzt, um eine wichtige   mehrere „Best-of-Steinhaus“-Videos, oft allerdings mit
          Entscheidung zu treffen. Ein letzter Einsatz im Super-  dermaßen grässlichen Beats unterlegt, dass man dem
          cup-Finale Ende September, seitdem ist Schluss auf dem   lieben Gott für die Mute-Funktion danken muss.
          Fußballplatz. „Sie hängt die Pfeife an den Nagel“, schreibt
          der Floskeljournalist, der Rest stellt nüchtern fest: Kar-  Bibiana Steinhaus selbst dürften solche Compilations
          riereende mit 41 – das kommt doch reichlich früh.   ohnehin eher unangenehm sein. Schließlich hat sie mehr-
          Schließlich hätte Steinhaus bis zur Altersgrenze noch   fach betont, dass sie nicht als Ikone fußballerischer
          sechs Jahre in der Bundesliga pfeifen können. Klar, sie   Emanzipation wahrgenommen werden wolle, sondern
          bleibt dem DFB als Video Assistant Referee (VAR) erhal-  als Schiedsrichterin, die in Deutschlands Top-Liga Spiele
          ten. Trotzdem wird man sie in den Stadien vermissen.   leite. Trotzdem wurde sie – ganz automatisch – für Mäd-
          Warum also dieser Abschied? Und warum jetzt?  chen und Frauen zum Vorbild. Sicherlich auch, weil sie
                                                      auch neben dem Platz immer wieder als ein enorm posi-
          Die erste Bundesliga-Schiedsrichterin Deutschlands   tiver und wirklich freundlicher Mensch in Erscheinung
          hatte seit 2007 Spiele in der 2. Bundesliga und seit 2017   trat.
          auch in der Bundesliga geleitet. Ihre Premieren waren
          dabei stets begleitet von einem gewaltigen Medienecho,   Als sie 2016 nicht in die Bundesliga aufstieg, obwohl
          das zudem – durchaus ungewöhnlich für einen Schieds-  sie in der abgelaufenen Saison Punktbeste aller Zweit-
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