Page 5 - DFB-Schiedsrichterzeitung 06-2018
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               s ist Freitagabend, 20.15 Uhr. Noch eine Viertel-  lässt sich bei Bedarf vergrößern, auch ausschnittweise.   TE X T
               stunde, dann wird die Auftaktpartie des dritten   Auf zwei weiteren Bildschirmen sind im Kleinformat   Alex Feuerherdt
         E Spieltags zwischen Borussia Dortmund und Ein-  sämtliche Kameraeinstellungen zu sehen, aus denen die
          tracht Frankfurt angepfiffen. Im Video-Assist-Center   Operatoren permanent die situativ besten auswählen
          (VAC) in Köln herrscht eine Mischung aus Anspannung,   und auf den dritten Monitor schalten. Außerdem haben
          Konzentration und Betriebsamkeit. Der Raum ist voll   die beiden Video-Assistenten vor sich einen Knopf, mit
          besetzt, obwohl nur dieses eine Spiel stattfindet. Nor-  dem sie eine potenziell zu überprüfende Spielsituation
          malerweise  sind  an  Freitagabenden  fünf  der  sechs   elektronisch markieren können, damit es bei einem
          Arbeitsstationen für die Video-Assistenten verwaist,   Check schneller geht, und einen weiteren, um mit dem
          doch das ist in der Hinrunde dieser Saison anders. Denn   Schiedsrichter zu sprechen. Zu guter Letzt liegt noch
          da der Personalbedarf groß ist, werden nach und nach   ein Tablet bereit, um den Grund für einen Review und
          auch sämtliche Zweitliga-Schiedsrichter und Erstliga-  das Ergebnis der Überprüfung an die Stadionregie und
          Assistenten zu Video-Assistenten ausgebildet. Zehn von   die Medienvertreter zu übermitteln.
          ihnen sind schon seit dem Nachmittag in Köln und neh-
          men an einem Lehrgang im VAC teil. Während der Begeg-  Schnell  ahnt  man,  welche  Fähigkeiten  und  Eigen  -
          nung in Dortmund werden sie jeweils zu zweit die Tätig-  schaften diejenigen besitzen müssen, die mit dieser
          keit  an  den  Monitoren  unter  Live-Bedingungen   Hochtechnologie arbeiten: Umsicht, Auffassungsgabe,
          simulieren – allerdings ohne Kontakt zum Schiedsrich-  Reaktionsschnelligkeit, Konzentration, Genauigkeit und
          ter auf dem Feld.                           Belastbarkeit.
          Der ist Günter Perl vorbehalten, der an diesem Abend   S C H N E L L I G K E I T U N D P R Ä Z I S I O N
          als Video-Assistent von Schiedsrichter Benjamin Cortus   S I N D G E F R AG T
          amtiert. Ihm zur Seite steht der Zweitliga-Referee Sven
          Waschitzki, der als assistierender Video-Assistent (AVA)   Und das umso mehr, als sie nicht nur das Spiel auf meh-
          fungieren wird. Beide sind ebenfalls schon seit vielen   reren Bildschirmen gleichzeitig verfolgen, sondern auch
          Stunden in Köln, haben beim Lehrgang vorbeigeschaut,   den Funkverkehr im Schiedsrichterteam mithören. Das
          den Technik-Check durchgeführt und sind die Aufga-  ist wichtig, um den Prozess von Entscheidungsfindun-
          benverteilung während des Spiels noch einmal durch-  gen nachvollziehen zu können und ein Gespür für die
          gegangen. Nun nehmen sie an der Video-Station Platz   Art der Spielleitung zu bekommen. „Guten Abend, Gün-
          und setzen sich die Headsets auf. Perl und Waschitzki   ter“, begrüßt Benjamin Cortus den Video-Assistenten
          tragen ein Schiedsrichter-Trikot. Es ist schwarz wie das   in Köln kurz vor dem Anpfiff. „Servus, Benny, und ein
          von Cortus. Bei der Weltmeisterschaft in Russland kam   gutes Spiel“, antwortet Perl. Während sich der Schieds-
          es gut an, dass die Video-Assistenten das gleiche Jer-  richter und seine Assistenten Florian Badstübner und
          sey trugen wie die Unparteiischen auf dem Feld, weil   Thomas Stein auf dem Platz abklatschen, tun dies auch
          es deutlich signalisierte: Wir gehören genauso zum Team Perl, Waschitzki und die beiden Operatoren im Studio.
          wie die Assistenten an den Seitenlinien. In der Bundes-
          liga wurde diese Regelung anschließend übernommen.  Unterdessen hat Rainer Werthmann von der Schieds-
                                                      richterkommission Elite des DFB im Video-Assist-Center
          Auch die Mitarbeiter des Unternehmens Hawk-Eye tra-  seinen Platz an einem großen Monitor mitten im Raum
          gen einheitliche Oberbekleidung, nämlich schwarze   eingenommen. Er verfolgt das Spiel von dort, um den
          Polo-Shirts mit dem inzwischen bekannten Logo, das   Video-Assistenten später ein Feedback geben zu kön-
          eine weiße Schiedsrichter-Pfeife auf rotem Grund zeigt,   nen. Auch Jochen Drees ist anwesend. Der neue Leiter
          die von einem Dreiviertelkreis mit einem Pfeil umran-  des Bereichs Video-Assistent beim DFB hat den Lehr-
          det wird – das Symbol für „Review“. Darunter steht in   gang am Nachmittag geleitet und wird während der
          schwarzen Großbuchstaben: „Video Assist“. Hawk-Eye   Partie nicht nur Perl und Waschitzki immer wieder über
          ist für die Videotechnik zuständig und für die Operato-  die Schulter schauen, sondern auch den Zweitliga-Refe-
          ren verantwortlich, die den Video-Assistenten aus mehr   rees und Bundesliga-Assistenten an den anderen Video-
          als 20 verschiedenen Kameraperspektiven ständig die   Stationen.
          aussagekräftigsten auf den Bildschirm schalten und auf
          Anweisung die Wiederholungen einspielen. Bei jedem   In Dortmund muss Benjamin Cortus derweil nach drei
          Spiel sitzen zwei dieser Operatoren neben dem Video-  Minuten erstmals energisch einschreiten, als Marco
          Assistenten und seinem AVA, heute sind es Hendrik   Fabián den Dortmunder Marcel Schmelzer bei einem
          Eßling und Paul Rafalsky. Auch mit ihnen haben sich   Zweikampf um den Ball foult. „So ein Ding! Mach ein-
          Perl und Waschitzki vor dem Anpfiff genau abgespro-  fach langsamer!“, ermahnt der Unparteiische den Frank-
          chen, damit alles glattläuft.               furter, bevor er sich Schmelzer zuwendet, der gerade
                                                      erst von einer Verletzung genesen ist. „Alles okay? Wie-
          Den Video-Assistenten stehen drei große Bildschirme   der das Sprunggelenk?“, fragt Cortus einfühlsam.
          zur Verfügung. Einer zeigt das Spiel dauerhaft aus der
          Perspektive der Führungskamera, auf dem zweiten läuft   Perl wirft derweil einen kurzen Blick auf die Wiederho-
          die Fernsehübertragung der Partie. Der dritte Monitor   lung der Szene, um rasch festzustellen: Brutal war Fabiáns
          kann als sogenannter Splitscreen genutzt werden und   Einsteigen keineswegs, eine Rote Karte kommt also
          gibt maximal vier weitere Kameraeinstellungen wieder,   nicht in Betracht, deshalb muss er dem Referee auch
          damit eine Szene im Fall einer Überprüfung aus mehre-  keinen On-Field-Review auf dem Monitor am Spielfeld-
          ren Perspektiven begutachtet werden kann. Jede davon   rand empfehlen. Fünf Minuten später begegnen sich
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