Page 25 - DFB-Schiedsrichterzeitung 05-2020
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GELBE KARTE , Bundesliga-Schiedsrichter Patrick Ittrich hat ein Buch
geschrieben. In „Die richtige Entscheidung – Warum ich es
ROTE KARTE , liebe, Schiedsrichter zu sein“ lässt er seine Leser nah an sich
heran: Wie viel Stress hat ein Bundesliga-Schiedsrichter
RAUS DAS BUCH! eigentlich? Wie fühlt er sich, wenn er das erste Saisonspiel
direkt in den Sand setzt? Was begeistert ihn dennoch am
vielleicht schwierigsten Job im Fußballgeschäft? Eine Emp-
fehlung – und eine Annäherung an das literaturwissenschaft-
liche Genre des Schiedsrichter-Buches.
er sich in seinem Leben irgendwann schon überbordender Druck und Mobbing bis in einen Suizid- TE X T
einmal für ein Studium der Germanistik inte- versuch trieben; dem Buch haftet allerdings unüberseh- Tobias Altehenger
W ressiert haben sollte, der wird festgestellt bar der Makel einer Abrechnung an. Hinzu gesellen sich
haben, dass an den allermeisten Unis im Land zu so die offenbar in fast jeder Gattung unvermeidlichen Auf-
ziemlich jeder literarischen Gattung Seminare und Vor- zählungswerke wie „Die 100 spektakulärsten Fehlent-
lesungen angeboten werden: Ob man sich für deutsche scheidungen im Fußball“, die regelmäßig als Verlegen-
Science-Fiction-Literatur des 18. Jahrhunderts interes- heitsgeschenke unter den Weihnachtsbäumen Tausender
siert, für mittelhochdeutsche Artusromane aus dem Schiedsrichter in der Republik landen und ihnen ein
Hoch- und Spätmittelalter oder für Robinsonaden (also gequältes „Danke, gute Idee“ abringen.
für Bücher, in denen der Protagonist auf eine einsame
Insel verschlagen wird) – als Studierender dieses Fachs Q UA N TI TÄT V S . Q UA LI TÄT
kann man in jedem noch so exotischen Gebiet eine Ver-
anstaltung besuchen, so absonderlich und verschroben Rein quantitativ wäre es für Universitäten also insgesamt
es sich auch anhören mag. durchaus möglich, neben dem, sagen wir mal, Prosemi-
nar „Robinsonaden“ auch ein Proseminar „Schiedsrich-
Diese Erkenntnis weiterspinnend, würde es eigentlich ter-Bücher“ anzubieten, zumal sich ja auch Schiedsrich-
höchste Zeit, auch die Gattung „Schiedsrichter-Buch“ in ter auf dem Platz oftmals so einsam fühlen, als hätte
das Curriculum deutscher Hochschulen aufzunehmen, man sie auf einer abgelegenen Insel ausgesetzt. Zum
zumal in diesem Feld in den vergangenen Jahren durch- Glück ist im Fußball stets nach 90 Minuten Schluss und
aus einige bemerkenswerte Titel erschienen sind. Ein man muss keine 28 Jahre (wie Robinson Crusoe auf sei-
indes ursprünglich nichtdeutschsprachiger Klassiker ner Karibikinsel) auf dem Sportplatz von Hilal Maroc
sind etwa die Erinnerungen des unvermeidlichen Pier- Bergheim oder dem FC Kray verbringen.
luigi Collina („Meine Regeln des Spiels“), in denen er
trotz einiger Längen manch unterhaltsame Anekdote Das Problem ist nur: Die literarische Qualität von Schieds-
schildert, unter anderem, wie schockiert der akribische richter-Büchern – mit Ausnahme des fantastisch geschrie-
Markus Merk bei einem gemeinsamen Turnier reagierte, benen „Ich pfeife!“ des früheren hessischen Oberliga-
als er mitbekam, dass Collina überhaupt keine Spieler- Schiedsrichters und Literaturkritikers Christoph Schröder
namen notierte, sondern sich lediglich einen kleinen, aus dem Jahr 2015 – fällt gegenüber ihrem Inhalt doch
völlig leeren Block in die Brusttasche seines Trikots leider allzu oft ab. Literaturwissenschaftler wie Matías
steckte. Merk selbst hatte zu diesem Zeitpunkt freilich Martínez und Michael Scheffel sprechen in ihrer „Ein-
auch schon ein Buch vorgelegt, das etwas sperrig beti- führung in die Erzähltheorie“ in diesem Zusammenhang
telte „BeWEGEnd – Merk and More“. vom „Wie“ (der Darstellung) und dem „Was“ (der Hand-
lung); während das „Was“ in der Gattung der Schieds-
Der frühere FIFA-Schiedsrichter Urs Meier aus der Schweiz richter-Bücher also oft hochspannend ist, lässt das „Wie“
hat sogar schon zwei Bücher auf den Markt gebracht, die doch manchmal arg viel Luft nach oben.
sich mit seinem Wirken als Schiedsrichter auseinander- Bundesliga-
setzen, scheint sich aber letzthin vom Feld der Autobio- Schenken wir uns also das Proseminar. Der Wert von Schiedsrichter Patrick
grafie verabschiedet zu haben: „Du bist die Entscheidung“ Schiedsrichter-Büchern bemisst sich in den allermeis- Ittrich präsentiert sein
fällt eigentlich nicht mehr unter die Schiedsrichter-Bücher, ten Fällen ohnehin eher durch die Einblicke, die sie bie- Buch: „Die richtige
sondern in das unüberschaubare Feld der Ratgeberlite- ten, gleichsam auch durch ihren verbindenden, solida- Entscheidung“.
ratur. Aufhorchen ließ indes vor einigen Jahren Babak rischen Wert. Wer selbst pfeift, kann sich in ihnen Die Hälfte der
Einnahmen fließt in
Rafati, dessen Erzählung „Ich pfeife auf den Tod“ zwar wiederfinden. Jeder Amateur-Schiedsrichter kennt das die DFB-Stiftung Sepp
mit bedrückender Klarheit darüber berichtet, wie ihn Kribbeln vor dem Spiel, die Euphorie nach einer großen Herberger.