Page 5 - DFB-Schiedsrichterzeitung 05-2020
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Lutz Michael Fröhlich, Sportlicher Leiter der Elite-
Schiedsrichter, über die Folgen der Corona-Krise,
die Dauer- Diskussion um den Videoassistenten
und die Abkehr von den Beobachtungsnoten.
Herr Fröhlich, wie haben Sie die ersten Wochen nach „Geduld und Toleranz von allen“. Drei Spielzeiten nach I NTE RV IE W
dem Corona-Lockdown Mitte März erlebt? dieser Aussage – wie zufrieden sind Sie mit der Ent- Lutz Lüttig und
Lutz Michael Fröhlich: Zunächst ging es darum, sich aus wicklung dieses Themas? Alex Raack
der Schockstarre zu lösen, in der damals vermutlich Ich finde, dass wir auf einem guten Weg sind. Trotzdem
jeder steckte. Das klappte mit unseren Schiedsrichtern besteht noch Verbesserungspotenzial. Geduld und
recht schnell über diverse virtuelle Angebote, Schulun- Toleranz sind weiterhin angebracht und auch notwen-
gen und Seminare – und natürlich über den permanen- dig. Denn die sich aus Einzelszenen ergebenden Stör-
ten persönlichen Austausch. Gerade in dieser sehr feuer zeigen, wie anfällig die ganze Thematik noch ist.
unübersichtlichen Phase war es wichtig, Kontakt zu hal- Das Problem ist, der Öffentlichkeit klarzumachen, dass
ten und eine klare Linie zu fahren. auch mit dem Videoassistenten Fehler passieren. Der
Fußball wird nie frei von Fehlern sein, das ist unmöglich
Wie fährt man eine klare Linie, wenn niemand sagen
kann, wie die nächsten Wochen werden beziehungs-
weise wann wieder Bundesliga-Fußball gespielt wird?
Schon die Information, dass man selbst nicht über nähere „Die Landesverbands-Neutralität
Informationen verfügt, ist schon eine Form der Kom-
munikation. Und darauf kam es an. Mit der starken Unter- bleibt aufgehoben.“ Lutz Michael Fröhlich
stützung durch unseren Athletiktrainer Johannes Egel-
seer konnten sich die Unparteiischen zu Hause fit halten,
auch das war natürlich von großer Bedeutung. Glückli- – und macht den Reiz des Spiels auch aus. Offen gesagt
cherweise mussten wir uns wenig Gedanken um die finde ich diesen Anspruch auf Perfektion total übertrie-
Wirtschaftlichkeit machen – alle Elite-Schiedsrichter ben. Interessant ist da übrigens, wie die Arbeit der Unpar-
sind mit Grundhonoraren ausgestattet, sodass die teiischen – inklusive des Videoassistenten – von den
Schiedsrichter in dieser Hinsicht weniger Sorgen hatten Trainern der Klubs gesehen wird. Auch sie regen sich
als viele andere Menschen in Deutschland. über eine vermeintlich falsche oder ungerechte Ent-
scheidung auf, aber wichtig ist ihnen insbesondere auch,
Glauben Sie, dass auch nach dem Ende der Corona- dass sie sich bei der Bewertung der vielen Spielsituati-
Krise etwas von den aus der Not entwickelten Verän-
derungen bestehen bleiben wird?
Ja, das kann ich ganz konkret bestätigen. Die Landes-
verbands-Neutralität bleibt aufgehoben. Corona hat
deutlich gezeigt, dass es wenig sinnvoll ist, einen
Schiedsrichter quer durch die Republik zu schicken,
wenn er auch ein Spiel in der Nähe seines Heimatortes
wahrnehmen kann. Auch mit Blick auf die ökologische
Verantwortung ist das sinnvoll: kürzere Strecken gleich
weniger gefahrene Kilometer. Der „kicker“ hat das am
Beispiel von Felix Brych ausgerechnet: Vor der Corona-
Pause legte er für seine 20 Saison-Spiele im Schnitt
565 Kilometer pro einfache Strecke zurück, für die acht
Spiele danach nur noch 242.
Wie bewerten Sie die Erfahrungen nach dem Neu-Start
Mitte Mai?
Ich bin froh, dass alle Beteiligten so umsichtig und
bewusst mit dem Thema umgegangen sind, beispiels-
weise mit Blick auf das Hygienekonzept. Alle haben sich
sehr schnell mit der neuen Situation arrangiert. Und ich
erkenne auch eine gewisse Demut, die allen sicherlich
ganz guttut. Der ehemalige FIFA-
Schiedsrichter aus
Berlin war zwischen
Weniger demütig hat sich in der abgelaufenen Saison 1991 und 2005 in der
weiterhin die Diskussion über den Videoassistenten Bundesliga selbst
gestaltet. Bei der Einführung 2017 forderten Sie aktiv.