Page 10 - DFB-Schiedsrichterzeitung 05-2020
P. 10

10        TITE LTH E M A
                D F B-S CH I E DS R I CH T E R -Z E IT U N G  0 5 | 2 0 2 0



                        Denn das DFB-Pokalfinale ist kein Spiel wie jedes andere. Beste aus der Situation zu machen, verdrängte den
                        Nicht bei den Frauen, nicht bei den Männern. Auch nicht   Umstand, dass Fußball ohne Fans keinen Spaß macht,
                        für Tobias Welz, den 43-jährigen Polizeibeamten vom   und genoss stattdessen die coronabedingten Vorga-
                        FC 34 Bierstadt, der eigentlich gar nicht da gewesen   ben: „Erst am Spieltag anzureisen, finde ich vollkom-
                        wäre, wenn das Corona-Virus nicht den internationalen   men okay. Ich schlafe lieber in meinem eigenen Bett
                        Tourismus lahmgelegt hätte. Anfang Juli 2020 wollte   als im Hotel.“
                        Welz mit seiner Lebensgefährtin eigentlich in Kanada
                        urlauben, so aber ist er zu Hause, als Lutz Michael Fröh-  Was dem Referee wirklich fehlte, war der besondere
                        lich bei ihm anruft und dem Unparteiischen zur Nomi-  Moment, in ein voll besetztes Stadion einzulaufen und
                        nierung für das Finale in Berlin gratuliert.   die besondere Atmosphäre aufzusaugen. Ein Manko,
                                                                     das auch sein Assistent Martin Thomsen aufführt, wenn
                        Auch für Welz ist es das vorläufige Highlight seiner Kar-  er über die vergangenen Wochen spricht: „Das Einlau-
                        riere und außerdem Höhepunkt einer für ihn spektaku-  fen ist für mich persönlich immer das Highlight eines
                        lären Saison: Im November 2019 hat er sich im Spiel   jeden Spiels.“ Allerdings, sagt Thomsen, habe er dann
                        zwischen Borussia Dortmund und dem VfL Wolfsburg   an die Menschen denken müssen, die während der Krise
                        so schwer an der Achillessehne verletzt, dass er die Par-  gesundheitlich, wirtschaftlich oder privat vor extreme
                        tie nicht zu Ende pfeifen konnte, kurz vor seiner Rück-  Probleme gestellt würden. „Das half mir, mich auch
                        kehr auf den Rasen unterbrach Corona die laufende Sai-    darüber zu freuen, in leeren Stadien Spiele zu pfeifen.“
                        son. Jetzt also das Endspiel. In einer Telefonkonferenz
                        gibt er seinen Assistenten Dr. Martin Thomsen und Rafael A N S P R U C H S VO LLE  S P I E LLE I T U N G E N
                        Foltyn Bescheid. Knapp zwei Wochen später, auf dem   T R O T Z L E E R E R K U L I S S E
                        Weg vom Hotel ins leere Olympiastadion, scherzt Welz
                        mit seinem Team: „Immerhin pfeift uns heute niemand   Das erste Finale des Tages beginnt um 16.45 Uhr in Köln,
                        aus.“                                        bei den Frauen stehen sich der große Favorit VfL Wolfs-
                                                                     burg und Außenseiter SGS Essen gegenüber. Assisten-
                        Tobias Welz hat seit Beginn der Corona-Krise mehr als   tin Annika Paszehr, die sonst vor maximal 1.500 Zuschau-
                        200  Überstunden  angesammelt.  Eigentlich  ist  der   ern agiert, hat gar keine Zeit, die fehlenden Fans zu
                        Schiedsrichter an der Polizeiakademie Wiesbaden für   vermissen, denn schon nach elf Sekunden muss sie dar-
                        die Auswahlverfahren zuständig, doch mit dem Lock-  über entscheiden, ob die Essenerin Lea Schüller im
                        down „war von einem Tag auf den anderen nichts mehr,   Abseits steht. Tut sie nicht, Paszehr lässt die Fahne unten
                        wie es war“, erinnert er sich. Welz lieh sich ein Spinning- und kurz darauf geht der Underdog in Führung.
                        Rad, hielt sich zusätzlich mit Waldläufen und Fitness im
                        heimischen Wohnzimmer fit, arbeitete sich an den E-Lear-  Diese Partie, so viel ist jetzt schon klar, wird einiges zu
                        ning-Programmen und gemeinsamen Online-Konferen-  bieten haben. Westerhoff und ihr Team müssen Schwerst-
                        zen der DFB-Schiedsrichter ab.               arbeit verrichten. In der regulären Spielzeit fallen sechs
                                                                     Tore, zwei davon in den letzten fünf Minuten, nach zwei
                        Der Wiederaufnahme des Spielbetriebs in den Profili-  Aluminiumtreffern  in  der  Verlängerung  fordern  die
                        gen begegnete der erfahrene Unparteiische mit einer   Wolfsburgerinnen in der 120. Minute einen Handelfme-
                        Mischung aus Vorfreude und gesunder Skepsis. Würde   ter, aber Westerhoff lässt weiterspielen. Erst im anschlie-
                        das detailliert ausgearbeitete Hygiene-Konzept auch   ßenden Elfmeterschießen entscheidet der Favorit die
                        wirklich greifen? Es griff „besser, als ich erwartet hatte“,   Partie schließlich für sich.
                        gibt Welz zu, der nach den positiven Testergebnissen
                        in Dresden schon befürchtete, die Saison müsse doch   Ein denkwürdiges Finale, sicherlich eines der besten der
                        komplett abgebrochen werden. Welz versuchte, das   vergangenen Jahre. So ein Spiel hat mehr verdient, als

       Als die Unparteiischen
       sich die Medaillen
       abholen, bekommen
       sie Applaus von den
       Spielern.
   5   6   7   8   9   10   11   12   13   14   15