Page 9 - DFB-Schiedsrichterzeitung 05-2020
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 HIGHLIGHTS DER






 BESONDEREN ART





















          Leere Ränge im Berliner Olympiastadion: Tobias Welz und sein Team beim DFB-Pokalfinale der Männer.


                en entscheidenden Anruf bekommt Nadine Wes-  Endlich wieder Tasche packen und ab zum Spiel. Sehr   TE X T
                terhoff auf dem Weg ins Allgäu. Nach den stres-  zum Leidwesen von Ehemann Sebastian, der derweil   Alex Raack
         D sigen Wochen im Zeichen von Corona braucht   Trainingspläne für kontaktlosen Fußball ausarbeiten
          ihre kleine Familie eine Auszeit. Die 37-Jährige arbeitet   musste und den Wettbewerb mindestens genauso ver-
          als Reiseverkehrskauffrau, also in einer Branche, die von   misste wie seine Frau. Die ließ sich auch von den stren-
          der Krise unmittelbar betroffen ist. Ihr Mann Sebastian,   gen Hygienevorschriften die Vorfreude auf die Spiele
          ein ehemaliger Junioren-Nationalspieler, ist Trainer bei   nicht verderben – mindestens achtmal hat sich Wester-
          Westfalenligist DSC Wanne-Eickel. Die Westerhoffs   hoff in den vergangenen Monaten auf das Corona-Virus
          haben zuletzt viel Zeit in den eigenen vier Wänden ver-  testen lassen müssen. So groß war die Sehnsucht nach
          bringen müssen, deshalb also Mitte Juni Allgäu statt   der Rückkehr zum Spielbetrieb, dass sich die Unpartei-
          Bochum.                                     ische kurz vor besagtem Urlaub noch für die Partie zwi-
                                                      schen Bayern München und dem FF USV Jena zuteilen
          Und die Reise geht gut los – nämlich mit jenem Anruf,   ließ – lag ja quasi auf dem Weg.
          der die Unparteiische darüber informiert, dass sie das
          Frauenfinale  im  DFB-Pokal  leiten  darf.  Wow,  denkt   Annika Paszehr, eine ihrer beiden Final-Assistentinnen,
            Westerhoff,  du  pfeifst  das  Endspiel!  „Aber  als  das   arbeitet als Leiterin der Nachwuchsabteilung von Ein-
          Gespräch beendet war, schaute ich meinen Mann an   tracht Dortmund. Auch sie wurde beruflich von der
          und sagte: ‚Verdammt, da ist ja dann niemand‘.“ Die   Corona-Krise schwer getroffen. Von einem Tag auf den
          Berufung ist eine Ehre und eine besondere Auszeich-  anderen befand sich die 28-Jährige in Kurzarbeit. Sosehr
          nung, ohne Zweifel das Highlight ihrer Karriere an der   die Ausgangssperre das tägliche Leben auch behinderte,
          Pfeife. Und gerade deshalb schmerzt der Gedanke daran, so beeindruckend findet Paszehr, wie ihr Arbeitgeber
          das erste DFB-Pokalfinale ohne Zuschauer leiten zu müs-  darauf reagierte, als sie dann doch wieder ihrem Dienst
          sen.                                        als Schiedsrichterin nachging. „Ich wurde von allen Sei-
                                                      ten grandios unterstützt. Als ich meinen Kollegen end-
          „Zu dürfen“, antwortet ihr Mann und sagt: „Nadine, die-  lich Bescheid geben durfte, dass ich im Endspiel dabei
          ses Finale geht definitiv in die Geschichtsbücher ein.   bin, habe ich mich bei ihnen bedankt: ‚Ohne euch wäre
          Und du wirst dabei sein.“ Westerhoff denkt kurz darüber   ich gar nicht hier!‘“
          nach und versteht. „Später, als auch meine Assistentin-
          nen Sina Diekmann und Annika Paszehr informiert waren“,   Endlich, weil das weibliche Gespann letztlich auf eine
          erinnert sie sich, „habe ich dem Endspiel in der Whats-  harte Geduldsprobe gestellt wird: Am Freitagvormittag,
          App-Gruppe einen Spitznamen gegeben. Für uns hieß   knapp 30 Stunden vor dem Finale, müssen sich Wester-
          es von da an nur noch ‚das besondere Finale‘.“   hoff und ihr Team testen lassen. Erst als sie am frühen
                                                      Abend die negativen Testergebnisse bestätigt bekommen,
          Als DFB und DFL nach dem Corona-Lockdown bekannt   dürfen sie ihre Final-Teilnahme offiziell bekannt geben.
          gaben, den Spielbetrieb wieder aufzunehmen, konnte   Keine Interviews im Vorfeld, keine Vorfreude über die
          sich Nadine Westerhoff kaum vorstellen, dass das funk-  vereinseigenen Kanäle – ein bisschen schade ist das schon
          tioniert. Dass es tatsächlich so kam, war für die junge   für die Schiedsrichterinnen. Immerhin: Statt wie in den
          Mutter vor allem die Gelegenheit, mal wieder rauszu-  vergangenen Wochen einzeln am Spieltag anzureisen,
          kommen. Als der Ball in den Bundesligen wieder rollte,   können Westerhoff, Paszehr und Diekmann zwei kom-
          war sie seit zwei Monaten quasi arbeitslos, ihr Reisebüro   plette Tage miteinander verbringen und sich in Ruhe auf
          geschlossen.                                das größte Spiel ihres Lebens vorbereiten.
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