Page 32 - DFB-Schiedsrichterzeitung 02-2021
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D F B -S C H IE D S R I C H T E R -Z E I T UN G 02 | 2 021
Wamangituka verwarnt. Dieser erhält die Gelbe Karte
aber nicht für seine Aktion vor der Torerzielung, sondern
für den Konflikt im Anschluss. Das Tor dagegen wird
von Schiedsrichter Frank Willenborg zu Recht anerkannt
und ist letztendlich die Entscheidung in diesem Spiel,
auch wenn Bremen in der allerletzten Minute der Nach-
spielzeit noch den Anschlusstreffer zum 1:2 erzielt.
Direkt nach dem Schlusspfiff beginnen dann aber die
Diskussionen: Von den Bremern kommt der Vorwurf,
dass es sich bei der eingangs beschriebenen Torerzie- Kurz zuvor hatte der
lung um eine unsportliche Aktion des Angreifers gehan- Deshalb bestand für den Unparteiischen in diesem Spiel Stuttgarter Angreifer
delt habe. Die Stuttgarter hingegen sprechen von Freude, keine Veranlassung, den Stuttgarter Spieler zu sanktio- den Ball bei einem
Emotion, vielleicht ein wenig jugendlichem Leichtsinn, nieren. Halten wir ihm in seiner Jugendlichkeit zugute, missglückten Zuspiel
auf Keeper Jiri
aber keinesfalls von einer unsportlichen Aktion. Und dass er einfach nur in Freude und vielleicht auch mit Pavlenka erobert.
auch in Schiedsrichter-Kreisen beleuchtet man die Frage, dem Hintergedanken, auf erlaubte Weise etwas Zeit von
wie dieses Angreifer-Verhalten denn nun regeltechnisch der Uhr zu nehmen, etwas langsamer gelaufen ist, um
zu werten sei. dann den finalen Torschuss zu setzen.
Werfen wir dazu einen Blick ins Regelwerk: Mit übertrie- Kramt man in der Vergangenheit, so wie es die
benem Jubel ist zum einen die Zeitvergeudung nach ARD-Sportschau ebenfalls getan hat, findet man übri-
der Torerzielung gemeint, wenn ein Spieler beispiels- gens einen ähnlich gelagerten Fall beim Pokalspiel Rot-
weise auf die Zuschauerränge zuläuft und sich mehr als Weiss Essen gegen den FC Schalke 04 im Jahr 1992. In
üblich feiern lässt, vielleicht sogar noch den Zaun erklet- diesem Spiel erzielte Jörg Lipinski in der letzten Minute
tert. Dies sind Vorfälle, die eine Gelbe Karte erfordern, den Treffer zum 2:0-Sieg, nachdem er an der Mittellinie
da durch den ausgiebigen Jubel auch Spielzeit vergeu- den Torhüter Jens Lehmann, seinerzeit im Dress des
det wird. Dies war bei der Situation in Bremen nicht der FC Schalke 04, überlaufen hatte und alleine auf das Tor
Fall. zulief. Vor dem Tor hielt er an und riss die Arme zum
Jubeln hoch, ließ sich von den Zuschauern feiern und
Die nächste Frage, die sich stellt: War es ein provokan- verwandelte erst Sekunden später den Ball zum Torer-
tes und unsportliches Verhalten, was respektlos gegen- folg. Auch hier wurde das Tor zu Recht gegeben. Das
über Spiel und Gegner war? verfrühte Jubeln war mit Sicherheit den Glücksgefühlen
und dem Überschwang des Spielers geschuldet.
Dazu sagt die Regel 12 unter der Überschrift „Verwar-
nung für unsportliches Betragen“: Ein Spieler ist wegen Würde sich, nebenbei bemerkt, in einer anderen Sport-
unsportlichen Betragens zu verwarnen, wenn er sich art irgendjemand aufregen, wenn zum Beispiel ein Mara-
gegenüber dem Spiel respektlos verhält. Mit Spiel sind thonläufer schon 20 Meter vor dem Ziel die Arme zum
hier sowohl das Fußballspiel als solches, aber natürlich Jubeln nach oben reckt, in die Menge winkt und kurz
auch die beteiligten Akteure inklusive der Zuschauer stehen bleibt, innehält und gen Himmel dankt und dann Rückblick ins Jahr
gemeint. über die Ziellinie läuft? Nein! Auch hier stehen die Emo- 1992: Der Essener
tionalität und die Freude über die Leistung im Vorder- Angreifer Jörg Lipinski
Dies wäre zum Beispiel der Fall gewesen, wenn sich Silas grund – und nicht die Respektlosigkeit gegenüber sei- reißt die Hände bereits
zum Jubeln hoch,
Wamangituka den Ball auf die Torlinie gelegt, sich dann nen Gegnern. obwohl der Ball noch
niedergekniet und den Ball mit dem Kopf zum Torerfolg vor der Torlinie liegt.
verwandelt hätte. Dies hätte den Gegner der Lächer-
lichkeit preisgegeben. Und damit wäre der Tatbestand
der Respektlosigkeit gegenüber Spiel und Gegner erfüllt
gewesen.
Da dies aber vom Stuttgarter Angreifer nicht einmal
ansatzweise in dieser Art vollführt wurde, bleibt ledig-
lich noch die Frage nach der Zeitverzögerung – dem
sogenannten Zeitspiel. Dazu muss angemerkt werden,
dass ein Zeitspiel nur ein Spiel aufhält, wenn damit eine
Unterbrechung unnötig ausgedehnt wird. Hier aber ist
der Ball im Spiel und die Bremer hätten ja zu jeder Zeit
diese Zeitspanne verkürzen können, indem sie den ball-
führenden Stürmer angegriffen hätten.
Im Umkehrschluss müsste sonst ein Schiedsrichter jeden
Spieler verwarnen, der gegen Ende des Spiels Richtung
Eckfahne läuft und dort auf seinen Gegner wartet, um
einen Zweikampf mit diesem zu führen und somit auf
Zeit zu spielen.