Page 16 - DFB-Schiedsrichterzeitung 04-2019
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wichtig. Denn wenn zwei oder drei zu bewertende bei schnellen Angriffen buchstäblich auf der Höhe zu
Abseitssituationen nacheinander kommen und man sein.
noch mit der ersten Situation beschäftigt ist, bekommt
man die anderen nicht vernünftig koordiniert, das schafft Salver arbeitet mit den Assistenten aber auch detailliert
das Gehirn nicht.“ im Bereich der Spielphilosophie. „Zurückhaltendes und
sehr dosiertes Winken ist gefragt, besonders beim
„WA I T & S E E “ A L S O B E R S T E S P R I N Z I P Abseits“, sagt er. Das Prinzip „wait & see“ sei unbedingt
zu beherzigen, etwa bei einem Pass in die Spitze. „Die
Die Professionalisierung der Assistenten zeigt sich aber Fahne darf nicht zu früh gehoben werden, denn in vielen
auch daran, dass diese in der Bundesliga mittlerweile Fällen kommt es gar nicht zu der zwar offensichtlichen,
Jan-Hendrik Salver einen eigenen Headcoach haben, der sich nur um sie aber noch nicht strafbaren Abseitsstellung. Der Ball wird
(hier noch zu seiner kümmert. Jan-Hendrik Salver hat diese Aufgabe inne, vielmehr oft von einem Verteidiger noch abgefälscht und
Zeit als Aktiver) coacht auch er war bei Welt- und Europameisterschaften sowie fliegt ganz woandershin.“ Außerdem könne ein Abwehr-
heute die Assistenten bei Olympia und in der Champions League als Schieds- spieler den Ball unter Kontrolle bekommen und sofort
im Elite-Bereich.
richter-Assistent im Einsatz. Der 50-Jährige macht deut- den Spielaufbau oder gar einen schnellen Gegenangriff
lich, wie groß alleine die körperlichen Anforderungen einleiten. „In beiden Fällen wäre die Fahne zu früh gekom-
an die Assistenten geworden sind: „Der Puls liegt teil- men, eine Fahne ‚für den Himmel‘, wie wir gern sagen.
Die Folge: Das Spiel wird unnötig unterbrochen.“
„Erwarte immer das Unerwartete.“ Jan-Hendrik Salver hebt vor allem die Bedeutung des
„Bauchgefühls“ für die Beurteilung abseitsverdächtiger
Jan-Hendrik Salver, Assistenten-Headcoach
Spielsituationen hervor. Was er darunter versteht,
beschreibt er so: „Assistenten benötigen eine gute Ver-
weise bei 150 bis 160 Schlägen pro Minute, und die bindung zwischen den Bildern, die sie mit den Augen
Assistenten legen auf einer Laufstrecke von 52 Metern, wahrnehmen, und den Erlebnissen, die sie in ihrem
also ihrer Spielfeldhälfte, bis zu sieben Kilometer pro Erfahrungsschatz gespeichert haben. Die Summe, die
Partie zurück, dabei sind bis zu 70 Sprints pro Spiel sich daraus ergibt, bezeichne ich als ‚Bauchgefühl‘.“
notwendig.“ Umso wichtiger sei die Fitness, gerade um Wenn während des Entscheidungsprozesses, der oft in
Tipps & Tricks für Assistenten
B AC K U P Fähigkeit, innerhalb kurzer Zeit mehrere Ent- hoher Geschwindigkeit in der Regel im richti-
scheidungen richtig zu bewerten. Insbeson- gen Moment die Abseitslinie. Verfügt der Assis-
Einer der Unparteiischen muss die Situation dere die Antrittsfähigkeit sichert die unver- tent über die ideale Sichtachse, kann er den
richtig erkennen und die Lösung liefern. Das zichtbare optimale Sichtachse im Moment Ausnahmefall (der Spieler befindet sich vor
ist der Anspruch in einem funktionierenden der Ballabgabe. dem Ball strafbar im Abseits) gut erkennen.
Schiedsrichter-Team. Daher ist der Assistent
immer gefordert, den Schiedsrichter auf die KO O P E R AT I O N S PA S S
unauslegbar richtige Entscheidung hinzu-
weisen. Das kann durch Körpersprache, die Die Unterstützung durch den Assistenten Höchstleistungen erreicht man nur mit Spaß
Funkfahne, das Headset oder durch eine erfolgt wohldosiert und ist jeweils mit dem und Freude an der Aufgabe. Leidenschaft
persönliche Rücksprache erfolgen. Schiedsrichter abgestimmt (Teamabsprache und Begeisterung wirken leistungsfördernd
vor dem Spiel). Klare Vergehen im Kompe- und treten negativen Impulsen wie Leis-
E RFA HR U N G tenzbereich des Assistenten müssen mit tungsdruck spürbar entgegen.
offener Fahne angezeigt werden. Bei Szenen
Die schwierigsten Abseits-Entscheidungen im „Graubereich“ sollte sich der Assistent „WA I T & S E E “
im visuellen Wahrnehmungsbereich erfor- eher defensiv verhalten.
dern langjährige Erfahrung. Oftmals ist das Diese Vorgehensweise umschreibt die Mög-
Bauchgefühl eine maßgebliche Grundlage P OS I T I O N IE R U N G lichkeit des Assistenten, eine Szene zunächst
für die richtige Entscheidung. Wenn der wirken zu lassen, ohne sofort zu entschei-
Assistent die Wahrnehmung hat, dass es Eine wichtige Grundlage für die richtige den. Das Motto lautet: „Lieber eine späte
„noch gepasst haben könnte“, dann liegt er Wahrnehmung ist die ideale Sichtachse auf Fahne richtig als eine frühe Fahne falsch.“
fast immer damit richtig, die Fahne nicht zu Höhe des vorletzten Abwehrspielers. Der
heben. Assistent sollte daher sein Stellungsspiel Z W E IFE L
immer genau an der Abseitslinie orientieren.
FI T NE S S Im Wahrnehmungsbereich ist nur bei abso-
Q U E R PA S S luter Sicherheit auf Abseits zu entscheiden.
Ein hohes Fitnessniveau ist eine Grundvor- Daraus folgt im Umkehrschluss, bei Rest-
aussetzung für den erfolgreichen Assisten- Jahrelange Beobachtungen zeigen, dass bei zweifeln die Szenen weiterlaufen zu lassen.
ten. Eine sehr gute Grundlagenausdauer nahezu allen Querpässen kein strafbares Diese Vorgehensweise führt erfahrungsge-
schafft Belastbarkeit, Stressresistenz und die Abseits vorliegt. Die Angreifer überlaufen mit mäß zu einer hohen Ergebnisqualität.