Page 11 - DFB-Schiedsrichterzeitung 01-2020
P. 11
11
Spiel zu kippen droht. Unangenehm ist das immer, aber sehr Thema wie im Spätherbst 2019 war die Situation TE X T
es liegt eine Grenze zwischen Zeter und Mordio, diesem der pfeifenden Amateure noch nie. Alex Raack
auf allen Fußballplätzen gleichen Gemecker, Gejammer,
Geschrei der vermeintlich Benachteiligten, und dem, Und auch deshalb setzt sich an diesem 21. November
was Stefan Paffrath jetzt passiert. um 19.15 Uhr die erste Demo gegen Schiedsrichter-
Gewalt in Bewegung. Knapp 50 Teilnehmer sind es immer-
Frohnau dreht die Partie, auch weil der Schiedsrichter noch hin geworden, doch weil die Berliner Polizei so freundlich
drei weitere Al-Dersimspor-Spieler vom Platz stellen muss. ist und den hektischen Feierabendverkehr blockiert, mar-
Einer der Übeltäter brüllt Paffrath an und beleidigt ihn mit schieren die Demonstranten mitten auf der Skalitzer Straße
Worten, die weit unter der Gürtellinie liegen. Ein anderer in Richtung Herzkammer dieses an Proteste so gewöhn-
schreit: „Wenn du mir jetzt ‚Rot‘ gibst, wirst du das bereuen, ten Stadtteils. Eine bessere Bühne hätte es nicht geben
wir sehen uns da hinten!“ Paffrath schmeißt ihn natürlich können. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr unsre Schiris
trotzdem runter. Nach dem Schlusspfiff eskaliert die Szene haut!“, singt die Demo, verteilt Gelbe Karten an die Pas-
völlig, ein Spieler verpasst dem Referee eine Ohrfeige, santen, auf denen gewalttätige Übergriffe gegen Schieds-
der flüchtet mit seinen Assistenten in die Kabine und ruft richter in den vergangenen vier Jahrzehnten dokumen-
die Polizei. Paffrath hat sich später erzählen lassen, dass tiert sind, unzählige Handykameras halten das skurril
draußen vor der Kabine von diesem Moment an „eine anmutende Szenario fest, ganz vorne leuchtet das Banner
gespenstische Stille“ herrschte. „Ich glaube, die waren alle der „Brigade Hartmut Strampe“, jener einst auf satirischem
fassungslos, was da gerade passiert war.“ Fundament errichteten Schiedsrichter-Ultra-Gruppierung,
die diese Demo initiiert und angemeldet hat. Satire ist
Fassungslos waren auch er und seine Kollegen. Aber heute nicht, Unterhaltung ganz bestimmt, aber vor allem
nicht tatenlos. Weil dieser Vorfall nicht der erste seiner geht es darum, „auf den ganzen Mist hinzuweisen, den
Art gewesen war, weil eigentlich an jedem Spieltag Schiedsrichter jedes Wochenende durchmachen müs-
Schiedsrichter in Berlin beschimpft, bedroht, geschla- sen“, wie Brigade-Mitbegründer Dominik Steinhoff sagt.
gen werden und weil es jetzt einfach mal reichte, boy-
kottierten die Unparteiischen zunächst den BSV Al-Der- Viele der Demonstranten haben ihre Erfahrungen mit
simspor und traten am letzten Oktober-Wochenende diesem „Mist“ machen müssen, auch Gerd Liesegang
in den Streik. Paffrath: „Wir wollten den Finger in die muss man davon nichts erzählen, als Vize-Präsident des
Wunde legen und deutlich machen, wie schlimm es Berliner Fußball-Verbands, und dort unter anderem ver-
Woche für Woche auf den Sportplätzen zugeht. Wir antwortlich im Bereich Gewaltprävention, weiß er genau,
haben uns alle in Fußball verliebt, weil uns der Sport so wie hart der Job der Unparteiischen sein kann. Seine
viel Spaß bereitet. Doch der Normalzustand sind schrei- Anwesenheit verleiht der Demo noch eine zusätzliche
ende Trainer, schimpfende Eltern, aggressive Spieler. Basis, die Schiedsrichter unter den Teilnehmern erken-
Spaß macht das nicht.“ nen das dankbar an.
Für ihren Streik erhielten die Berliner eine Menge Auf- Was bleibt von der Demo, von dem medialen Aufschrei,
merksamkeit. Dass in den Wochen danach zunächst in dem „#WIRstellenGewaltinsAbseits“-Video der Bundes-
Münster (Hessen), dann in Köln und schließlich im rhein- liga-Kollegen? „Es wäre naiv, zu glauben“, sagt Stefan
land-pfälzischen Rüssingen ähnliche Vorfälle gemeldet Paffrath, „dass sich jetzt alles ändern wird.“ Und den-
oder sogar per Handyvideo dokumentiert wurden, fasst noch hofft der Lehrer, dass bei vielen Spielern, Trainern,
Paff rath als „makabre Abfolge“ zusammen, die allerdings Zuschauern, Eltern ein Sensibilisierungsprozess einge-
die öffentliche Aufmerksamkeit für die Probleme der setzt hat und Schiedsrichter den öffentlichen Schutz
Schiedsrichter nur noch verstärkte. Und tatsächlich: So bekommen, den sie verdienen.
STIMMEN
Denis Waegert (26) pfeift Stefan Paffrath (39), ein- Andreas Winter (57)
bis zur Oberliga Nord und gesetzt in der Berlin-Liga, musste bereits nach sei-
musste gleich zu Beginn sorgte mit seinem Einsatz nem dritten Spiel als
dieser Saison ein Ber- für den Streik der Berliner Schiedsrichter unter Poli-
lin-Liga-Spiel abbrechen, Unparteiischen. Die Demo zeischutz vom Feld
weil ihn ein Akteur körper- in Berlin fand er „generell gebracht werden. Die
lich angegangen war. Er eine tolle Sache. Jetzt geht Demonstration hat er als
sagt: „Fußball als Spiegel der Gesellschaft es vor allem darum, dass das Thema in ein 1. Versammlungsleiter angeführt. Er sagt:
zeigt doch nur, wie aufgeladen die Stim- paar Wochen nicht schon wieder verges- „Ich bin seit mehr als 30 Jahren in Kreuz-
mung in diesem Land ist. Und wir Schieds- sen wird. Es geht ja nicht nur um die berg auf der Straße. Ich habe alles erlebt.
richter bekommen es dann ab.“ In der Schiedsrichter, sondern generell um die Den 1. Mai 1987. Ronald Reagans ‚Mr. Gor-
gegenwärtigen Diskussion sieht er aller- immer aggressiver werdende Stimmung batschov, tear down this wall!‘. Was ich
dings die große Chance, ein nachhaltiges auf Fußballplätzen.“ noch nicht gesehen habe, ist, dass sich
Umdenken zu bewirken. nach einer Demo in Kreuzberg Demons-
tranten und Polizeibeamte in den Arm
nehmen. Weil alle Schiedsrichter sind.“