Page 10 - DFB-Schiedsrichterzeitung 01-2020
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„WIR SIND HIER,
WIR SIND LAUT!“
Was im ersten
Moment verrückt
klingt, hat einen
ernsten Hinter-
grund: Schiedsrich-
ter haben in Berlin
auf offener Straße
gegen Gewalt auf
dem Fußballplatz
demonstriert.
Mit Trillerpfeifen sowie gelben und roten Transparenten zogen die Unparteiischen durch die Straßen
von Berlin.
onnerstagabend, 19 Uhr, Ecke Wrangelstraße/ schon einiges gesehen. Eine Schiedsrichter-Demo hatte
Skalitzer Straße, gleich hinter der Berliner Ober- es bis zu diesem Abend aber noch nicht gegeben.
Dbaumbrücke, wo aus Friedrichshain Kreuzberg wird.
Etwas versteckt zwischen Häuserwänden und einem rie- Knapp zwei Monate vorher auf dem Sportplatz am Anhal-
sigen Fastfood-Restaurant schimmert, angeleuchtet von ter Bahnhof, viereinhalb Kilometer Fußmarsch von die-
grauen Flutlichtmasten, grüner Kunstrasen. Gleich spielt sem Ort entfernt, pfeift Stefan Paffrath die Berlin-Liga-
hier die ansässige FSV Hansa 07. Auf Höhe der Mittellinie Partie zwischen dem BSV Al-Dersimspor und dem
dehnt sich der Schiedsrichter. In 30 Minuten ist Anstoß. Fronhauer SC an. Paffrath, 39, Gymnasiallehrer, hat schon
mit 16 sein erstes Spiel geleitet. Ein zurückhaltender
Knapp 50 Meter vom Unparteiischen entfernt sammelt Brillenträger mit freundlichem Gesicht. Er hat seine Erfah-
sich eine immer größer werdende Gruppe, die inmitten rungen gemacht, musste sich, kaum volljährig, mit wüten-
dieses Verkehrsknotens der Hauptstadt recht merkwür- den Eltern und Jugendtrainern auseinandersetzen und
dig aussieht. Die Anwesenden lassen sich von Musik aus ging wie jeder andere Unparteiische später durch das
einem Bollerwagen berieseln, tragen überdimensio- Stahlbad des Amateurfußballs. Wer nicht selbst Schieds-
nierte Rote Karten aus Pappkarton und Assistenten- richter ist, kann diese Erfahrungen nicht nachvollziehen.
Fahnen, entrollen Banner und verteilen Plakate. Auf dem Wer es ist, weiß ganz genau, wovon die Rede ist.
Mittelstreifen der Skalitzer Straße, unter der beständig
vorbeidonnernden Hochbahn, warten sechs Polizisten Gastgeber Al-Dersimspor führt schnell und überraschend
auf Motorrädern. Schräg gegenüber, neben dem Fast- mit 2:0. Kurz nachdem Paffrath zur zweiten Hälfte ange-
food-Schuppen, stehen noch einmal drei Neunsitzer, pfiffen hat, fällt der Anschlusstreffer. Minuten später
ein paar Beamte rauchen und vermutlich fragen sie sich bleibt dem Schiedsrichter nichts anderes übrig, als einen
noch immer, was für eine Demonstration das wohl wer- Al-Dersimspor-Spieler mit der Gelb/Roten Karte vom
den wird, die sie gleich durch den nieseligen Abend quer Feld zu verweisen. „Von diesem Moment an“, erinnert
durch Kreuzberg begleiten sollen. sich Paffrath, „waren die Spieler kommunikativ nicht
mehr für mich zu erreichen“. Aus einer souverän führen-
Wer jetzt gute Polizisten-Augen hat, kann die Aufschrif- den Gastgeber-Mannschaft wird eine zusammenge-
ten der Banner erkennen, die über den Köpfen der ersten schrumpfte nervöse Truppe, die die Felle davonschwim-
Reihen zu sehen sind: „Brigade Hartmut Strampe – unpar- men sieht und ihren Frust an den Schienbeinen der Gäste
teiisch since 2015“, „Heute ist ein guter Tag, um Geschichte und natürlich am Schiedsrichter auslässt. Jeder Unpar-
zu pfeifen“, „Wir trinken keine Fanta“. Man hat in Berlin ja teiische kennt diese besonderen Situationen, wenn ein