Page 6 - DFB-Schiedsrichterzeitung 01-2020
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6         TITE LTH E M A
                D F B-S CH I E DS R I CH T E R -Z E IT U N G  01 | 2 0 2 0



                                                                     mit ihren gesammelten Vorschlägen gepinnt haben. Als
                                                                     die drei Flipcharts anschließend aber wieder wegge-
                                                                     räumt werden und die Tagesordnung mit den nächsten
                                                                     Punkten fortgesetzt werden soll, regt sich Protest. Viele
                                                                     der Anwesenden haben noch Gesprächsbedarf und ange-
                                                                     sichts der aktuellen Situation nicht den Eindruck, dass
                                                                     das Thema Gewalt in knapp anderthalb Stunden ausrei-
                                                                     chend abgehandelt ist. Giuseppe Palilla, der Schieds-
                                                                     richterobmann aus Württemberg, merkt an, „dass wir
                                                                     die gleichen Pinnwände mit den gleichen Notizen schon
                                                                     vor einigen Jahren in den Raum gestellt haben“. Und
                                                                     Volkmar Fischer aus dem Saarland ergänzt: „Wir brau-
                                                                     chen noch klarere Workflows in der Frage, was passiert,
                                                                     wenn es zu Übergriffen kommt. Wie sollen wir dann
                                                                     reagieren?“

       Ernste Mienen: Die                                            Der Vorsitzende des DFB-Schiedsrichterausschusses,
       jüngsten Vorfälle   mich nicht wundern, wenn die Angebote sogar deckungs-  Udo Penßler-Beyer, und DFB-Direktor Willi Hink kom-
       von Gewalt gegen   gleich mit der Nachfrage sind – und bloß derjenige, der   men den Obleuten entgegen. Das Programm der Tagung
       Schiedsrichter trübten   sie braucht, nicht immer weiß, dass es sie gibt“, sagt   wird (so viel Flexibilität muss sein) kurzfristig geändert,
       in diesem Jahr die
       Stimmungslage bei   Zimmermann und fügt hinzu: „Ich bin ein Mensch, der   die Obleute sollen mehr Zeit bekommen, ihre Sorgen
       den Teilnehmern.  eigentlich immer jeden einzelnen Vorfall verhindern   zu schildern. Viele äußern dabei den Wunsch nach mehr
                        will. Deswegen ist mein Ansatz stets Gewaltprävention   Unterstützung durch den Dachverband. Andreas Thie-
                        gewesen und deswegen bin ich der Meinung, dass auch   mann, der westdeutsche Obmann, wünscht sich etwa
                        die Vereine besser darin geschult werden müssen, zu   eine zentral gesteuerte Taskforce vom DFB, die den
                        erkennen, wer das Potenzial hat, zum Gewalttäter zu   Ehrenamtlern den Rücken freihält. Jörg Wehling aus
                        werden. Aber auch unsere Schiedsrichter können wir   Berlin fordert mehr Empathie. Er meint: „Ich halte es für
                        noch intensiver schulen.“                    kein gutes Signal, wenn der DFB nach Gewaltvorkomm-
                                                                     nissen darauf verweist, dass der Spielbetrieb in der Ver-
                        W E L C HE  M A S S N A HME N  HE L F E N ?  antwortung der Regional- und Landesverbände liegt.
                                                                     Auch auf die Statistik zu verweisen, hilft uns nicht wei-
                        Wie diese Schulungen aussehen und welche anderen   ter. Wir brauchen klare Zeichen, dass die Schiedsrichter
                        Maßnahmen möglicherweise sinnvoll sein könnten, dazu   nicht alleine gelassen werden – wie zum Beispiel das
                        kommen sowohl aus den Ergebnissen der Umfrage als   Video der DFB-Referees.“
                        auch aus dem Plenum der Obleute Vorschläge. In Klein-
                        gruppen sollen sie gemeinsam mit ihren ebenfalls anwe-  Peter Oprei aus dem Fußball-Verband Mittelrhein schil-
                        senden Lehrwartkollegen (siehe Kasten) erarbeiten, wie   dert, dass bei Übergriffen im FVM die statistischen Zah-
                        sich das Schiedsrichterwesen selbst, der DFB, aber auch   len in Pressemitteilungen nicht mehr verwendet wür-
                        staatliche Stellen einbringen können, um Übergriffe auf   den: „Das wäre aus unserer Sicht ein falsches Signal“,
                        Schiedsrichter zu verhindern. Oft geht es bei ihren Vor-  sagt Oprei, „und würde auch ein falsches Bild erzeugen.“
                        schlägen um Professionalisierung, um die Einbindung   Er fordert, dass bundesweit eine Null-Toleranz-Politik
                        von Fachleuten, aber beispielsweise auch um die Ein-  propagiert wird, sein Kollege Erich Schneider aus dem
                        richtung einer Erstanlaufstelle, bei der sich die Schieds-  Fußballverband Rheinland schließt sich an und plädiert
                        richter an eine Vertrauensperson, eine Art Ombudsmann,   für härtere Strafen. Insgesamt, das wird in dieser spon-
                        wenden können.                               tan einberufenen Gesprächsrunde deutlich, wünschen
                                                                     sich die Obleute mehr Guidelines durch den Verband.
                        Am Ende der Gruppenarbeit stehen drei große Flipcharts   Dies könnte allerdings schwierig werden. DFB-Vizeprä-
                        im Raum, auf die die Funktionäre beschriftete Karten   sident Ronny Zimmermann erklärt das im Interview so:



         Lehrwarte: Minimierung der Grauzone


         Bei der Tagung in Frankfurt/Main trafen sich auch die   laut Wagner dazu geführt, dass eine Regeländerung aus den
         21  Schieds richter-Lehr warte der Landesverbände. Dabei brachte   vergangenen Jahren prominent in der Öffentlichkeit wahrge-
         sie DFB-Lehrwart Lutz Wagner auf den neuesten Stand in allen   nommen worden sei. Als Gast bei der Tagung anwesend war
         Fragen der aktuellen Regelauslegungen. Wagner sprach dabei   auch Handball-Schiedsrichter-Lehrwart Jürgen Rieber. Bereits
         unter anderem über die „Grauzonen-Minimierung“ beim Hand-  im vergangenen Jahr hatten sich die beiden Lehrwarte mehrfach
         spiel und erklärte einzelne Fälle aus den Bundesligen. So sei   ausgetauscht und dabei den Blick über den Tellerrand prakti-
         zum Beispiel der Strafstoß im Spiel Bochum gegen Kiel zwar   ziert. Rieber sprach in seinem Vortrag über Synergieeffekte zwi-
         regeltechnisch völlig korrekt gewesen, der Eingriff des Video-  schen Handball und Fußball und gab einen Einblick in das Coa-
         Assistenten allerdings laut IFAB nicht, weil der VAR in erster Linie   chingsystem des Deutschen Handballbundes.
         Zweikampfsituationen beurteilen solle. Immerhin habe der Fall
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