Page 9 - DFB-Schiedsrichterzeitung 01-2020
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err Zimmermann, es ist Ende des Jahres 2019 verband und auch der DFB sie sicher schon angewendet
und wir sprechen einmal mehr über das Thema – aber es gibt sie eben nicht.
H Gewalt gegen Schiedsrichter. Es hat Fälle gege-
ben in NRW, in Berlin, im Saarland und besonders hef- Eine weitere Folge der Vorkommnisse aus Hessen war
tig kürzlich in Hessen, da wurde ein Schiedsrichter in ein Video der Elite-Schiedsrichter, die sich darin mit
der Kreisliga von einem Spieler bewusstlos geschla- ihren Kollegen im Amateurbereich solidarisiert haben.
gen und musste mit dem Rettungshubschrauber Diese beiden Gruppen zu vergleichen, ist natürlich
abtransportiert werden. Was geht Ihnen durch den schwierig, allein schon wegen der deutlich größeren
Kopf, wenn Sie über solche Vorkommnisse informiert Sicherheitsvorkehrungen in der Bundesliga – warum
werden? ist diese Solidarisierung aus Ihrer Sicht dennoch wich-
tig?
Ich habe das nie nachvollziehen können. Ich habe selbst
mehr als 20 Jahre lang aktiv Fußball gespielt und war Da gehören alle Schiedsrichter zusammen. Jeder Bun-
in dieser Zeit auch das eine oder andere Mal mit dem desliga-Schiedsrichter hat irgendwann mal Junioren-
Schiedsrichter unzufrieden. Aber Gewalt – in welcher spiele und Amateurspiele gepfiffen, insofern ist es nur
Form auch immer – kam mir nicht mal ansatzweise in natürlich, dass alle zusammenstehen. Es war allerdings
den Sinn. Der Schiedsrichter ist doch genauso ein Sport- ein tolles Signal, dass diese Idee von den Elite-Schieds-
ler wie alle anderen am Spiel Beteiligten auch! Wir haben richtern selbst kam. Das fand ich einfach großartig.
das dann immer so gelöst, dass wir nach dem Spiel bei
einem Bier zusammengesessen haben. Dann habe ich Sie haben in einem früheren Interview die Gewalt gegen
den Schiedsrichter zum Beispiel gefragt: „Warum hast Schiedsrichter mit der Gewalt gegenüber Polizisten
du da keinen Elfmeter gepfiffen?“ Und damit war die oder Sanitätern verglichen, die inzwischen ebenfalls
Sache erledigt. Deshalb ist es für mich so, dass ich da regelmäßig zum Opfer werden. Bei diesen Fällen wer-
immer nur blankes Unverständnis verspüre. Fußball ist den immer wieder schärfere Gesetze diskutiert. Bei
so ein geiler Sport und macht so viel Spaß – und dann den Schiedsrichtern sind zunächst mal die Sport-
so ein Mist! gerichte zuständig – und auch da haben die Sport-
minister der Länder jetzt schärfere Strafen gefordert.
Unmittelbar nach diesen Vorkommnissen steht dieses Gehen Sie da mit?
Thema breit in der Öffentlichkeit, in den Medien wird
diskutiert – aber haben diese Gewalt-Akte gegen Da ich selbst Jurist bin, habe ich da ein klares Bild, und
Schiedsrichter in den vergangenen Jahren wirklich zwar völlig unabhängig von der Frage, gegen wen sich
zugenommen? diese Gewalt richtet. Ich bin der Meinung, dass eine
Strafe immer mit dem zugrunde liegenden Verhalten
Sämtliche Erhebungen sprechen dagegen. Alle Unter- und der damit verbundenen Schuld zusammenhängen
suchungen, vom DFB, von den Landesverbänden, aber muss. Wenn jemand etwas wirklich Schlimmes tut, dann
auch aus der Wissenschaft, sagen, dass die Anzahl der muss die Strafe das repräsentieren. Das bedeutet umge-
Übergriffe auf Schiedsrichter in den vergangenen fünf kehrt aber auch: Wenn es Gründe gibt, die die Strafe
bis sechs Jahren im Wesentlichen gleich geblieben ist. mildern, dann gilt es, auch dies zu berücksichtigen.
Dieses Gefühl scheint also ein Zerrbild zu sein. Trotz- Lebenslange Strafen, die ja immer schnell gefordert
dem muss man aufpassen: Wenn es 20 eklatante Vor- werden, sind in Deutschland schlicht nicht möglich.
fälle sind, dann sind es natürlich trotzdem genau 20 zu Selbst ein Mörder bekommt keine lebenslängliche Strafe,
viel. Unser Ziel kann es nur sein, etwas gegen diese sondern zunächst einmal „nur“ 15 Jahre. Zudem geben
20 Vorfälle zu unternehmen. Aber was, das ist die große die wissenschaftlichen Untersuchungen in dem Bereich
Frage. Geschimpft wird immer schnell, die Leute sagen: der Wirksamkeit längerer Strafen das genaue Gegenteil
Es muss was passieren. Es gibt aber keine Patentlösun- her: Es ist mitnichten so, dass extrem scharfe Strafen
gen. Gäbe es die, hätte jeder Fußballkreis, jeder Landes- dazu führen, dass es zu keinen Übergriffen mehr kommt.
Nachdem der
Schiedsrichter im Spiel
TSV Münster gegen
TV Semd im Oktober
niedergeschlagen
worden war, meldete
der Verein aus
Südhessen seine
Mannschaft vom
Spielbetrieb ab.