Page 19 - DFB-Schiedsrichterzeitung 03-2020
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          Während es Leroy über die Jugendvereine Essen, Wat-  den Rassisten ausgemacht und deuten mit dem Finger
          tenscheid, Herne und Sprockhövel bis in den bezahlten   auf ihn. Wie sich später herausstellen wird, handelt es
          Fußball schaffte, gelten die beiden weiblichen Kwadwos   sich um einen 29-Jährigen aus dem nahen Steinfurt,
          schon seit einigen Jahren als die schnellsten Frauen des   dessen Anonymität in dieser Sekunde aufgehoben ist.
          Landes. Die mehrfache Deutsche Meisterin Yasmin star-  „Nazis raus! Nazis raus!“, rufen die Fans im Preußensta-
          tete 2011 für die deutsche 4x100-Meter-Staffel bei den   dion und jubeln frenetisch, als der Mann von den Ord-
          Weltmeisterschaften in Daegu, Keisha gewann 2018 die   nern abgeführt wird. Schiedsrichterin Rafalski hat sich
          deutsche Hallenmeisterschaft in der 200-Meter-Staffel-  derweil bei Leroy Kwadwo erkundigt, ob er weiterma-
          Konkurrenz. Es wäre nicht verkehrt, die Kwadwos als   chen möchte. „Das hat er bejaht und dann haben wir
          eine der erfolgreichsten deutschen Sportlerfamilien zu   das Spiel fortgeführt.“
          bezeichnen.
                                                      Szenen, die erschreckend an den Vorfall erinnern, der
          Doch in der festgefahrenen Begegnung mit Preußen   nur wenige Tage zuvor beim DFB-Pokalspiel zwischen
          Münster kann auch Kickers-Mann Leroy Kwadwo keinen   Hertha BSC und Schalke 04 stattgefunden hat. Auch da
          Nutzen aus seinen Fähigkeiten ziehen. Als noch fünf   hatte es rassistische Beleidigungen gegen Hertha-Spie-
          Minuten zu spielen sind, will Würzburg-Trainer Michael   ler Jordan Torunarigha gegeben.
          Schiele reagieren und ruft Mittelfeldmann Niklas Hoff-
          mann zu sich, der den entkräfteten Kollegen Patrick   S TA R K E  S TAT E M E N T S  N AC H
          Sontheimer ersetzen soll. Schiedsrichterin Rafalski   DE R  W I DE R L IC H E N  AT TAC K E
          bekommt ein Zeichen, bei der nächsten Unterbrechung
          wird der Wechsel stattfinden. Der Ball fliegt ins Seiten-  Der rassistische Ausbruch in Münster ist natürlich auch
          aus, Einwurf für Würzburg, Leroy Kwadwo wird ihn aus-  nach dem Schlusspfiff noch nicht vergessen. Rafalski
          führen.                                     und ihre Assistenten Timo Wlodarczak und Christian
                                                      Ballweg sprechen nach der Partie erst mit dem Ord-
          Und dann passiert es: In seinem Rücken hört Kwadwo   nungsdienst, dann mit der Polizei und schließlich mit
          ein  hässliches  Geräusch,  das  einem  Menschen  mit   ihrem Schiedsrichter-Beobachter. „Als wir damit durch
          schwarzer Hautfarbe nur allzu bekannt ist. „Uh, uh, uh“,   waren, hatten die Würzburger Spieler das Stadion ver-
          grölt ein Zuschauer, die Imitation von Affenlauten hat   mutlich schon verlassen.“
          sich seit Jahrzehnten als eine der widerlichsten rassis-
          tischen Beleidigungen etabliert. Sichtlich entsetzt dreht   Leroy Kwadwo sieht sie einen Tag später wieder, da ist
          sich Kwadwo um und versucht, den Übeltäter ausfindig   der junge Mann von den Würzburger Kickers im „Aktu-
          zu machen. Der hat noch nicht genug und schreit: „Geh   ellen Sportstudio“ eingeladen und sagt zur Begrüßung:
          zurück in dein Loch!“ Jetzt hat der Würzburger den Mann   „Heute bin ich stellvertretend für alle hier, denen so
          ausfindig gemacht, er zeigt auf die Tribüne, Mit- und   etwas schon mal widerfahren ist.“ Die Reaktionen der
          Gegenspieler eilen ihm zur Hilfe.           Zuschauer, der Mit- und Gegenspieler und der breiten
                                                      Öffentlichkeit, sagt Kwadwo, hätten ihm Kraft gege-
          Auch Katrin Rafalski geht zu Kwadwo und erfährt von   ben – und neue Energie: „Heute fühle ich mich schon
          ihm: „Aus dem Publikum kommen Affenlaute.“ Für die   besser als gestern.“
          Unparteiische eine völlig neue Erfahrung, doch sie
          reagiert schnell, besonnen – und richtig. Von den Lehr-  Selbst Nationalspieler Antonio Rüdiger, dessen Mutter
          gängen auf den DFB-Stützpunkten weiß sie, wie in sol-  aus Sierra Leone stammt, hat sich via Twitter gemeldet:
          chen Fällen zu verfahren ist. Zunächst versucht sie, sich   „Wahnsinn, schon wieder ein Vorfall. Bleib stark – Leroy
          ein Bild von der Lage zu machen, und tatsächlich kann   Kwadwo.“ Über die Vereinsseite seiner Würzburger
          sie die „Affenlaute“ sogar selbst hören. Daraufhin geht   Kickers hat der Fußballer außerdem ein starkes State-
          sie zu Preußen-Trainer Sascha Hildmann und beauftragt   ment veröffentlicht: „WIR müssen alle weiter dagegen
          ihn, eine entsprechende Stadiondurchsage durchgeben   angehen, wie IHR es getan habt, und dies im Keim ersti-
          zu lassen. Die erste Phase eines dafür vorgesehenen   cken lassen! Danke für jede einzelne Nachricht! Ich hoffe,
          3-Stufen-Plans, der im schlimmsten Fall einen Spielab-  dass so was endlich ein Ende hat.“
          bruch vorsieht.
                                                      Diese Hoffnung teilt er mit Katrin Rafalski. Die 38-Jäh-
          Anschließend versucht sie, den immer noch völlig auf-  rige glaubt nicht, dass der deutsche Fußball ein grund-
          gelösten Kwadwo zu beruhigen, und sagt: „Ich will   legendes Problem mit Rassismus hat, plädiert aber dafür,
          dich schützen. Was hier passiert, ist unterste Schub-  solche Vorfälle wie in Münster sehr ernst zu nehmen.
          lade. Das akzeptiere und toleriere ich nicht.“ Wie es in   Für ihr konsequentes Handeln an jenem 24. Spieltag
          dem Spieler aussieht, vermag Rafalski sich nicht aus-  wurde die Unparteiische ausdrücklich gelobt. „So trau-
          zumalen. „Für ihn muss es einfach eine furchtbare   rig und beschämend der rassistische Vorfall gegenüber
          Erfahrung gewesen sein“, sagt sie mit ein paar Wochen   Leroy Kwadwo gestern Abend war“, twitterte der Dritt-
          Abstand zu dem Vorfall, „als deutscher Staatsbürger   liga-Account des DFB, „so vorbildlich waren die sofor-
          so beleidigt und erniedrigt zu werden, nur weil man   tigen Reaktionen darauf.“
          eine andere Hautfarbe hat.“
                                                      Eine Woche später präsentiert Leroy Kwadwo ein T-Shirt,
          So schlimm die ganze Sache ist, so beeindruckend ist   mit dem nicht nur die Kicker aus Würzburg den 25. Spiel-
          das, was jetzt passiert. Noch bevor der Stadionsprecher   tag eröffnen. Die Aufschrift lautet: „Rote Karte dem Ras-
          seine Durchsage beendet hat, haben andere Zuschauer   sismus.“ Das richtige Zeichen!
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