Page 5 - DFB-Schiedsrichterzeitung 02-2021
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                ie flapsige Bemerkung „Du Pfeife!“ ist für den   viel wichtiger ist, den Pfiff abhängig von der Situation   TE X T
                passionierten, mitfiebernden Fußballfan ein Aus-  zu gestalten.“ Kleines Foul, kleiner Pfiff. Großes (gravie-  Georg Schalk
         D druck höchsten Missfallens einer Schiedsrich-  rendes, übles) Foul, großer (langer, lauter) Pfiff. Bei einem
          terleistung. Aber darum soll es hier und heute nicht   kurzen Halten im Mittelfeld reicht laut Wagner ein kur-
          gehen. Im Mittelpunkt steht an dieser Stelle „die Pfeife“,   zer Pfiff, beim Mauerstellen kann durchaus ein soge-
          also jenes schneckenförmige, kleine Ding, das akusti-  nannter Stotterpfiff platziert werden. Botschaft: Meine
          sche Signale erzeugt, wenn man hineinbläst.   Herren (Damen), bitte hierher auf meine Höhe! „Die
                                                      Pfeife ist dein Musikinstrument. Du solltest ihre Töne
          Für Bundesliga-Schiedsrichter Robert Hartmann ist die   den Vergehen anpassen – in der Länge, Lautstärke und
          Pfeife das wichtigste Werkzeug, das er hat. Genau genom-  Variation“, empfiehlt der Lehrwart.
          men „seine Pfeife“. „Ich habe immer noch meine erste
          Fox 40 im Einsatz. Die hat bis heute durchgehalten“,
          erzählt der 41-Jährige aus Wangen im Allgäu ganz stolz.
          Vor etwa einem Vierteljahrhundert hat er sich dieses
          kleine schwarze Gerät zugelegt und seitdem hat es ihn
          bis in die Bundesliga begleitet. „Sie wird in Ehren gehal-
          ten und regelmäßig gereinigt. Für mich ist sie so etwas
          wie ein Glücksbringer, ein Talisman.“

          Vom ersten Tag an wanderte die Fox 40 nach jedem
          Einsatz zurück in sein Schiedsrichter-Mäppchen. Auch
          das ist immer noch dasselbe geblieben. Zusammen mit
          ihrem „Chef“ gehen sie – Mäppchen und Pfeife – Woche
          für Woche auf große Reise. Robert Hartmann, der für
          den SV Krugzell (Oberallgäu) pfeift, gehört der höchs-
          ten deutschen Spielklasse seit 2011 an.
          Hartmann mag seine schwarze Pfeife der ersten Gene-
          ration. Nicht nur, weil sie noch nie versagt hat, wie er
          erzählt. „Sie ist angenehm zu bedienen, man kriegt einen
          guten, lauten Ton raus.“ Auf dem Platz trägt er sie klas-
          sisch an einem Band. In seiner Gesäßtasche befindet
          sich eine zweite Fox 40 – seine Ersatzpfeife. Runterge-
          fallen sei ihm das Schiedsrichter-Utensil während des
          Spiels noch nie. „Deswegen musste ich glücklicherweise
          auch noch nie im Gras oder im dreckigen Torraum
          suchen“, berichtet er mit einem Augenzwinkern.

          Auch für Lutz Wagner besitzt die Pfeife einen hohen
          Stellenwert. Allerdings schränkt der DFB-Lehrwart ein:
          „Für mich sind Persönlichkeit, Ausstrahlung und Kör-
          persprache die nicht weniger wichtigen Werkzeuge des
          Schiedsrichters. Gelbe und Rote Karten dagegen sollte
          man nur einsetzen, wenn andere Maßnahmen nicht mehr
          wirken.“ Der 57-Jährige vom SV 07 Kriftel (Hessen) ist
          ein jung gebliebener, alter Hase: 17 Jahre war er Bun-
          desliga-Schiedsrichter, parallel dazu zehn Jahre Ver-
          bands-Lehrwart in Hessen. Und seit einem Jahrzehnt
          bekleidet er das Amt des Lehrwarts des Deutschen Fuß-
          ball-Bundes (DFB).                                                                       Bundesliga-Referee
                                                      Diese Aussagen kann Robert Hartmann nur bestätigen.   Robert Hartmann
          Einer seiner wichtigsten Tipps für jüngere Schiedsrich-  „Anhand der Länge und Lautstärke eines Pfiffs muss   benutzt noch immer
          ter lautet: Die Pfeife nie im Mund tragen, vor allem beim   man die Überzeugung des Schiedsrichters merken und   seine erste Fox 40.
          Laufen nicht. „Wenn da aus Versehen in einer Schreck-  erkennen können, wie ernst er es meint.“ Von daher sei
          sekunde ein Ton herausrutscht, ist die Verwirrung groß.   ein schüchterner Pfiff – gerade wenn es sich um den
          Dann müsste das Spiel mit einem Schiedsrichter-Ball   Anpfiff handelt – nicht angesagt. Mit einem durchdrin-
          fortgesetzt werden, weil es sich um einen Fehler des   genden Signal in unmittelbarer Nähe von Akteuren könne
          Schiedsrichters handelt“, erläutert er.     man für Aufmerksamkeit sorgen, beispielsweise um eine
                                                      Rudelbildung im Keim zu ersticken. Und der Pfiff beim
          Von der landläufigen Meinung „Der Anpfiff ist der wich-  Anstoß zu Spielbeginn falle generell sicherlich eher
          tigste Pfiff“ hält er nur bedingt etwas. Sicherlich sei es   etwas länger und lauter aus als der nach einer Torerzie-
          wichtig, dass Zuschauer und  Spieler bei einem „stram-  lung zum 4:0. „Gerade beim Anstoß sollte man nicht
          men“, lauten Anpfiff den Eindruck gewinnen: Da steht   aus der Puste sein, sodass ein frischer, erwartungsfroher
          heute jemand auf dem Feld, der weiß, was er tut. „Doch   Pfiff möglich ist“, sagt Hartmann. So ein lauter Ton ist
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