Page 20 - DFB-Schiedsrichterzeitung 06-2018
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vermehrt zu Stresssituationen, sind die Ruhephasen zwi- wiederfinden kann. Aus dieser eigenen Betroffenheit
schen diesen Ereignissen zu kurz oder geht der betrof- ergeben sich dann Überlegungen, dass es einfach wäre,
fene Mensch nicht achtsam genug mit sich selbst um, zahlreiche Stressoren des Alltags in der Vorbereitung
dann kann Stress zu schweren gesundheitlichen Schä- und im Ablauf eines Spiels zu vermeiden. Vielleicht
den bis hin zur Schwächung des Immunsystems führen, sollte der eine oder andere seinen bisher eher ungeord-
selbst zu depressiven Phasen. neten Lebensstil neu und gezielter ordnen und zum Bei-
spiel schon am Abend vor einem Spiel die Sporttasche
Aber es wird in dem Lehrbrief auch deutlich, dass ein packen. Möglich wäre zudem, die Anreise zum Spielort
gewisses Stresspotenzial zu unserem Leben dazugehört. so zu planen, dass selbst Baustellen und unvorherge-
Denn es ist notwendig, dass vor jeder Leistung ein Span- sehene Probleme am Spielort ohne Zeitdruck gelöst
nungsaufbau in jedem von uns geleistet wird. Dieser werden können.
motiviert uns und sorgt dafür, dass wir energiegeladen
und positiv an besondere Aufgaben herangehen. Dabei Auch wird manchem Zuhörer beim Referat des Lehrwarts
spielt das Hormon Adrenalin eine wesentliche Rolle. bewusst, dass er wesentlich weniger gestresst wäre,
Einmal ins Blut ausgeschüttet, bewirkt der Stoff eine wenn er hier und da etwas gelassener an die unvermeid-
Steigerung der Herzfrequenz sowie eine schnelle Bereit- lichen Dinge des Alltags herangehen würde. Und die
stellung von Energie und ermöglicht damit die notwen- jungen Talente müssen erkennen, dass auch übertrie-
dige Leistungsfähigkeit. bener Ehrgeiz mit dem Ziel, immer nur aufsteigen zu
wollen, Stress erzeugt. Ein Stress, der sich auf die Leis-
Außerdem werden im Lehrbrief unterschiedliche tungen als Schiedsrichter eher nachteilig auswirken
Stresstypen vorgestellt, in denen sich jeder von uns kann.
Stress als Fehler-Ursache?
Besondere Stresssituationen stellen auch zogen sich durch die gesamten 90 Minuten. Reihen der Zuschauer irritiert. Der völlig ent-
Fußball-Weltmeisterschaften für Schieds- Schon in der 8. Minute schickte der Referee, nervte Unparteiische knickte ein, nahm das
richter gerade in der entfernteren Vergan- der mit beiden Teams erhebliche Verständi- Tor zurück und wurde einen Tag später von
genheit dar. Dort werden die Referees an die gungsprobleme hatte, den Italiener Giorgio der WM suspendiert.
Grenzen ihrer körperlichen und psychischen Ferrini nach einem Foul an Honorino Landa
Belastbarkeit gebracht – und dann kommt vom Platz. Der Spieler aber weigerte sich,
es selbst im internationalen Spitzenfußball das Spielfeld zu verlassen, und musste
beinahe zwangsläufig zu Fehlentscheidun- schließlich von der chilenischen Polizei
gen. tretend und schreiend vom Feld abgeführt
werden.
Unvergessen bleibt zum Beispiel die „Hand
Gottes“ – als der argentinische Weltstar Bei der WM 1982 in Spanien war es Scheich
Maradona bei der WM 1986 in Mexiko beim Fahid al Ahmad al Sabah aus Kuwait, der im
Spiel gegen England das 1:0 mit der Hand Spiel seiner Mannschaft gegen Frankreich
erzielte. Schiedsrichter Ali Bin Nasser aus nach dem 4:1 für die Équipe Tricolore auf
Tunesien gab diesen Treffer, er schien in die- den Platz stürmte und den ukrainischen
ser Situation völlig überfordert. Offensicht- Schiedsrichter Miroslav Stupar aufforderte,
lich hatte auch die Kulisse der rund 115.000 den Treffer zurückzunehmen. Angeblich
Zuschauer den Referee schon beim Betreten wurde sein Team nach einem Pfiff aus den
des Spielfelds unter erheblichen Druck
gesetzt.
Nicht weniger Stress hatte der englische
Schiedsrichter Ken Aston bei der WM 1962
in Chile. Er musste das Spiel zwischen Chile
und Italien leiten, das später als „die Schlacht
von Santiago“ bezeichnet wurde. Bereits im
Vorfeld hatten sich italienische Medien abfäl-
lig über das Gastgeberland geäußert, sodass
die Aggressionen im Spiel in blinden Hass
umschlugen.
Die Auseinandersetzung auf dem grünen
Rasen artete völlig aus, brutale Fouls und Beim Spiel Chile gegen Italien (1962) war die Das Hand-Tor von Maradona im WM-Viertelfinale
Beschimpfungen der Spieler untereinander Stimmung schon vor dem Spiel angeheizt worden. 1986 sahen allein im Stadion 115.000 Zuschauer.