Page 17 - DFB-Schiedsrichter-Zeitung 2/2019
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               arl-Heinz Tritschler lacht, als er gefragt wird, was   Anzeigebereich geschieht, sondern das gesamte Spiel   TE X T
               den Linienrichter früherer Jahre vom modernen   und dessen Entwicklung im Blick haben. Einen guten   Alex Feuerherdt
         K Schiedsrichter-Assistenten der Gegenwart unter-  Assistenten zeichne aus, „dass er genau weiß, wann der
          scheidet. „Lange Zeit hatten die Fahnen einen Holzgriff   Schiedsrichter ihn braucht und wann nicht“, sagt Stege-
          und waren richtig schwer“, sagt der ehemalige FIFA-  mann. „Ich fühle mich in der Mitte immer besonders
          Referee, der auch mit 69 Jahren während der Saison   wohl, wenn ich weiß: Ich habe ein Backup, das verfüg-
          noch immer an fast jedem Wochenende als Schieds-  bar ist, wenn mir etwas durch die Lappen geht, weil ich
          richter-Beobachter in der Bundesliga und 2. Bundesliga   ungünstig stehe oder eine fehlerhafte Wahrnehmung
          unterwegs ist. „Heute sind sie leicht und stecken voller   habe, oder wenn ich bei der Bewertung einer Situation
          Technik.“                                   einfach mal unsicher bin.“

          Aber das sei natürlich nur ein Nebenaspekt. In der Bun-  Deutlich macht er das an einem Beispiel: „Wenn im Mit-
          desliga sind die Schiedsrichter-Assistenten, wie sie seit   telfeld ein Spieler seinen Gegner über mehrere Meter
          1996 offiziell heißen, Spezialisten für ihr Amt geworden,   am Trikot zieht, sehe ich das normalerweise selbst. Wenn
          was Tritschler ausdrücklich begrüßt: „Schließlich ist das   aber eine Mannschaft in der 90. Minute mit einem für
          Spiel inzwischen viel schneller und komplexer als zu   mich verdeckten Handspiel das 2:1 erzielt, brauche ich
          meiner aktiven Zeit.“ Der Freiburger leitete zwischen   die Unterstützung von außen mehr denn je. Dann ist es
          1980 und 1991 insgesamt 98 Spiele im deutschen Ober-  super, wenn der Assistent, sofern er eine klare Wahr-
          haus, seinen Karrierehöhepunkt erlebte er 1989, als er   nehmung hat, Verantwortung übernimmt und mir hilft.“
          das Finale im Europapokal der Landesmeister sowie das
          Endspiel im DFB-Pokal pfiff und darüber hinaus zum   Ohnehin bemesse sich die Qualität der Unterstützung
          „DFB-Schiedsrichter des Jahres“ ernannt wurde.  nicht an der Anzahl der Fahnenzeichen. „Mir ist ein Assis-
                                                      tent lieber, der etwas defensiver winkt und den einen
          Beim Europacup-Finale zwischen dem AC Mailand und   oder anderen Input über das Headset gibt“, sagt Stege-
          Steaua Bukarest (4:0) vor 98.000 Zuschauern in Barce-  mann. „Denn das bietet mir die Möglichkeit, diesen Input
          lona assistierten ihm Eugen Strigel und Werner Föckler.   zu berücksichtigen, aber auch gegebenenfalls anders
          Beide waren seinerzeit selbst Bundesliga-Schiedsrichter,   zu entscheiden. Bei einem offenen Fahnenzeichen ist
          Föckler war sogar international tätig. Eingespielt war   die Hemmschwelle größer, den Assistenten zu über-
          das Trio nicht, wie Karl-Heinz Tritschler erzählt: „Mit den   stimmen, auch weil es nicht gut ist, wenn alle sehen,
          beiden hatte ich bis dahin nur ein einziges Spiel zusam-  dass man sich nicht einig ist.“ Die größte Herausforde-
          men, nämlich kurz vorher in St. Pauli. Das musste genü-  rung liegt für Sascha Stegemann darin, sich aufeinander
          gen. Heute wäre das unvorstellbar.“         einzustellen, denn: „Man kann nur als Team funktionie-
                                                      ren.“ Wichtig sei es deshalb vor allem, die gleiche
          Die Anforderungen an die Linienrichter seien damals aller-  Spielauffassung zu haben.
          dings auch geringer gewesen: „Wenn ich einen dabeihatte,
          von dem ich wusste, dass er nicht so sattelfest ist, habe   Dabei müsse jedoch klar sein, dass der Schiedsrichter
          ich ihm gesagt: Außer zum Anzeigen von Abseits und der   die Hauptverantwortung trage und die Linie vorgebe:
          Spielrichtung brauchst du deine Fahne heute nicht. Um   „Ein Assistent sollte so winken, wie ich pfeife, nicht
          die Zweikampfbeurteilung kümmere ich mich alleine.“   umgekehrt. Wenn ich bei der Zweikampfbeurteilung
                                                      eher großzügig bin, darf der Assistent nicht bei jedem
          Funksysteme und Headsets gab es noch nicht. Deshalb   kleinen Zupfer die Fahne heben, sonst schwindet die
          musste der Schiedsrichter etwa bei abseitsverdächtigen   Akzeptanz bei den Mannschaften.“   Karl-Heinz Tritschler
          Szenen nach draußen schauen, um festzustellen, ob sein                                   (rechts) und Aron
                                                                                                   Schmidhuber (links) vor
          Linienrichter die Fahne hebt. Dabei lief er Gefahr, das Spiel-  Diese Teamarbeit sei ein laufender Prozess und müsse   einem Linienrichter-
          geschehen für einen Moment aus den Augen zu verlieren.   immer wieder nachjustiert werden. Notwendig sei dabei   Einsatz bei Dieter
          „Mittlerweile sind die Möglichkeiten der Zusammenarbeit                                  Pauly (Mitte).
          zum Glück viel besser“, sagt Tritschler. Die Technik erleich-
          tere die Kommunikation im Team beträchtlich.

          G E ÄN D E R T E S  R O L L E NVE R S TÄN D N IS

          Der Aufgabenbereich der Assistenten ist im Lauf der
          Jahre erheblich größer geworden, der Stellenwert der
          Männer und Frauen mit der Fahne deutlich gestiegen.
          „Der Hauptschwerpunkt liegt zwar immer noch auf der
          Abseitsbeurteilung und der Anzeige von Einwürfen,
          Abstößen, Eckstößen und Freistößen, aber die Tätigkeit
          des modernen Assistenten umfasst mittlerweile weit
          mehr“, sagt Sascha Stegemann. Der 34-Jährige leitet
          seit 2012 Spiele in der Bundesliga und ist seit dem
          1. Januar 2019 auch FIFA-Schiedsrichter.

          Von seinen Assistenten im bezahlten Fußball erwartet
          er, dass sie nicht nur reagieren, wenn etwas in ihrem
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