Page 11 - DFB-Schiedsrichterzeitung 02-2020
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Gemeinsam mit seinem Assistenten Markus Häcker über-
prüft Dankert zunächst diese Szene. Denn sollte sich her-
ausstellen, dass tatsächlich ein Handspiel vorliegt – und
sei es noch so unabsichtlich –, darf das Tor auf keinen
Fall zählen. Ob Adamyan sich vorher im Abseits befand
oder nicht, ist dann unerheblich. Doch auf den Bildern
ist kein Handspiel zu erkennen, deshalb geht der Video-
Assistent rasch dazu über, die mögliche Abseitsstellung
bei der Torvorbereitung zu klären. Dazu muss er zunächst
den genauen Moment des Abspiels bestimmen. Den bes-
ten Blickwinkel bietet in diesem Fall die Superzeitlupen-
kamera, wie Dankert schnell feststellt. Mit ihren 150 Ein-
zelbildern pro Sekunde, „Frames“ genannt, verfügt sie
zudem über eine besonders gute Auflösung. Die hoch-
auflösenden Kameras, die den Video-Assistenten zur
Verfügung stehen, produzieren mindestens 50 und bis Bastian Dankert
zu 150 Frames pro Sekunde. der DFB-Schiedsrichter für die Video-Assistenten zustän- (rechts) und Markus
dig ist. „Und wenn sich nach einem Tor bei der Überprü- Häcker überprüfen
Bastian Dankert sucht nun denjenigen Frame heraus, fung im Kölner Video-Assist-Center herausstellt, dass den Hoffenheimer
Siegtreffer im Spiel
der den ersten Impuls von Kramarić’ Fuß auf den Ball eine strafbare Abseitsstellung vorliegt, muss der VAR gegen Dortmund.
zeigt. Denn dieser Moment ist laut Regelwerk entschei- eingreifen, auch wenn es ganz knapp ist.“ Denn der
dend – und nicht, wie viele immer noch fälschlich anneh- Grundsatz, dass der Video-Assistent nur bei klaren und
men, der Augenblick, in dem der Ball den Fuß verlässt. offensichtlichen Fehlern intervenieren darf, gilt beim
Mithilfe der Einzelbildschaltung, die Video-Operator Abseits nicht: Da es bei einer Abseitsstellung regeltech-
Hendrik Eßling vornimmt, findet der VAR schnell den nisch nur schwarz oder weiß gibt und die Bilder ein ein-
richtigen Frame. Nun müssen die kalibrierten Linien so deutiges Ergebnis liefern, ist eine Entscheidung entwe-
exakt wie möglich an der jeweils maßgeblichen Körper- der richtig oder falsch. Dazwischen gibt es nichts.
partie von Kramarić und des vorletzten Dortmunder
Abwehrspielers, Dan-Axel Zagadou, angelegt werden. Noch immer wird in der Öffentlichkeit viel über den
Bei beiden ist es die Fußspitze. Eine anspruchsvolle, fili- Video-Assistenten diskutiert, und dabei zeigt sich oft,
grane Arbeit, die dem erfahrenen Eßling jedoch leicht dass vielen die mit ihm zusammenhängenden Regula-
von der Hand geht. Dankert dirigiert ihn dabei: „Biss- rien und Abläufe auch in der dritten Saison seit der Ein-
chen weiter nach rechts. Stopp! Wieder einen Tick nach führung des VAR nicht geläufig sind. Deshalb sollen an
links. Stopp! So stimmt es.“ Und es zeigt sich: Die Fuß- dieser Stelle noch einmal die wichtigsten Fragen zu die-
spitzen sind genau auf gleicher Höhe, es liegt also kein sem Thema beantwortet werden.
Abseits vor, der Assistent hatte die Fahne zu Recht nicht
gehoben. „Tor korrekt“, vermeldet Dankert an Felix W E L C H E F U N K T I O N H AT D E R V I D E O -
Zwayer, der die Partie in Hoffenheim leitet. AS S I ST E N T ?
In der Hinrunde der Bundesliga ist in manchen Medien Der VAR ist, wie sein Name schon sagt, ein Assistent des
und den sozialen Netzwerken nach mehreren engen Unparteiischen, wie es auch diejenigen an den Seiten-
Abseitsentscheidungen eine teilweise erregt geführte linien sind. Er ist also ein Spieloffizieller und kein „Ober-
Debatte über Fehlertoleranzen und Messungenauigkei- schiedsrichter“, weshalb er den Referee auf dem Feld
ten entbrannt. Der Moment des Abspiels lasse sich mit auch nicht überstimmen, sondern ihm in klar festgeleg-
den zur Verfügung stehenden technischen Hilfsmitteln ten Situationen lediglich empfehlen kann, eine Entschei-
nicht genau bestimmen, hieß es vielfach, schließlich dung zu ändern. Das letzte Wort hat nach wie vor stets
könne er ja zwischen zwei Frames liegen. In dem Sekun- ausschließlich der Schiedsrichter. Anders als die Schieds-
denbruchteil, der vom einen zum anderen Bild vergehe, richter-Assistenten im Stadion wird der VAR allerdings
lege ein Stürmer womöglich entscheidende Zentimeter erst tätig, nachdem der Unparteiische eine Entscheidung
zurück, die die Antwort auf die Abseitsfrage grundle- getroffen hat. Er fungiert also als eine Art „Airbag“.
gend verändern könnten. Auch die kalibrierten Linien Umgekehrt heißt das: Der Referee darf nicht auf eine
seien ungenau, da sie von Menschenhand angelegt wür- Entscheidung verzichten, um sie dann mithilfe des Video-
den. Vergessen scheinen die Diskussionen während der Assistenten zu treffen.
Spielzeit 2017/18 – der ersten mit VAR –, in der es noch
keine genormten Abseitslinien gab und die Video-Assis- W E L C HE S I TUAT I ONE N Ü B E RP R Ü F T
tenten deshalb nach Toren mit bloßem Auge darüber DE R V I DE O -A S S I S T E N T ?
urteilen mussten, ob ein strafbares Abseits vorliegt.
Der VAR verfolgt das Spiel auf mehreren Monitoren und
Damals wurde der Ruf nach den kalibrierten Linien im überprüft die Bilder, wenn eines der folgenden vier
Laufe der Saison immer lauter. Doch jetzt, wo es sie gibt, Ereignisse eintritt:
heißt es zuweilen: Die Technik ist nicht exakt genug. „So
genau wie jetzt konnten wir eine Abseitsstellung noch 1. Der Schiedsrichter erkennt auf Tor oder entscheidet,
nie bestimmen“, sagt Jochen Drees, der als Leiter Tech- dass ein Treffer nicht oder auf irreguläre Weise erzielt
nologie und Innovation in der sportlichen Leitung Elite wurde.