Page 12 - DFB-Schiedsrichterzeitung 02-2020
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                        2.   Der Schiedsrichter verhängt einen Strafstoß oder   so ein unzweifelhaft ahndungswürdiges Handspiel im
                           lässt das Spiel in einer möglicherweise strafstoßwür-  Strafraum entgangen ist.
                           digen Situation weiterlaufen.
                        3.   Der Schiedsrichter zeigt einem Spieler die Rote Karte   Bei einem klaren und offensichtlichen Fehler liegt also
                           oder entscheidet in einer möglicherweise feldver-  eine falsche Wahrnehmung des Schiedsrichters vor, bei
                           weiswürdigen Situation, nur die Gelbe Karte, die   einem schwerwiegenden übersehenen Vorfall dagegen
                             Gelb / Rote Karte oder keine Persönliche Strafe aus-  eine fehlende Wahrnehmung. Im erstgenannten Fall hat
                           zusprechen.                               der Referee eine Situation erfasst und bewertet, im letzt-
                        4.   Der Schiedsrichter verwechselt beim Aussprechen   genannten nicht oder nur teilweise. Wie sich die Wahr-
                           einer Persönlichen Strafe die Spieler, das heißt, er   nehmung des Unparteiischen darstellt, muss dieser
                           zeigt dem Falschen die Gelbe, Gelb/Rote oder Rote   gegenüber dem VAR kommunizieren. Der Video-Assis-
                           Karte.                                    tent entscheidet dann auf der Grundlage der Bilder, ob
                                                                     ein Eingriff erforderlich oder unnötig ist.
                        Wenn der Unparteiische dagegen beispielsweise auf
                        Freistoß, Eckstoß, Einwurf oder Abstoß erkennt, über-  WANN SCHAUT SICH DER SCHIEDSRICHTER
                        prüft der Video-Assistent die betreffende Entscheidung   EINE SZENE SELBS T AM MONITOR AN?
                        nicht. Das gilt auch dann, wenn sie eindeutig falsch ist
                        und anschließend ein Tor fällt. Ganz bewusst haben die   Grundsätzlich wird zwischen Checks und On-Field-
                        Regelhüter vom International Football Association Board   Reviews unterschieden. Unter einem Check, zu dem es
                        (IFAB) hier eine Grenze gesetzt: Um zu vermeiden, dass   in einem Bundesligaspiel durchschnittlich siebenmal
                        das Spiel (zu) häufig wegen Überprüfungen unterbro-  kommt, versteht man die Sichtung der Bilder in einer
                        chen ist, soll der VAR nur Entscheidungen mit potenzi-  überprüfbaren Situation durch den VAR. Ein On-Field-
                        ell spielveränderndem Charakter kontrollieren. Zwar   Review, den es im Schnitt nur alle drei Spiele gibt, ist
                        kann natürlich auch ein unberechtigter Freistoß oder   die Überprüfung einer Szene durch den Schiedsrichter
                        Eckstoß zu einem Tor führen. Doch wollte man das ver-  auf dem Monitor am Spielfeldrand in der sogenannten
                        hindern, müsste ausnahmslos jede dieser Entscheidun-  Review-Area. Liegt nach Ansicht des VAR ein klarer und
                        gen überprüft werden – und zwar vor der entsprechen-  offensichtlicher Fehler oder ein schwerwiegender über-
                        den Spielfortsetzung. Denn nach ihrer Ausführung ist   sehener Vorfall bei einer subjektiven Entscheidung vor,
                        eine Änderung der Entscheidung laut Regelwerk   empfiehlt er dem Unparteiischen einen solchen On-
                        bekanntlich nicht mehr möglich.              Field-Review. Nach dem Review kann der Schiedsrichter
                                                                     seine ursprüngliche Entscheidung ändern, er kann sie
       „So genau wie jetzt konnten wir                               aber auch aufrechterhalten, wenn er davon überzeugt
                                                                     ist, dass sie sich vertreten lässt. Bei faktischen Entschei-
       eine Abseitsstellung noch nie                                 dungen dagegen übernimmt der Referee im Fall eines
                                                                     Fehlers das Urteil des Video-Assistenten, ohne sich die
       bestimmen.“                 Dr. Jochen Drees, Projektleiter Video-Assistent   Bilder selbst anzusehen.

                                                                     Zu den subjektiven Entscheidungen zählen alle, bei denen
                        In den vier Situationen findet automatisch eine Über-  ein Graubereich existiert und dementsprechend eine
                        prüfung durch den VAR statt. Ein Reporter-Satz wie etwa   Bewertung der Bilder vorgenommen werden muss. Das
                        „Das Tor wurde nicht überprüft“ ist daher falsch. Wenn   ist vor allem bei potenziellen Foulspielen, Handspielen
                        es nicht zu einem Eingriff des Video-Assistenten kommt,   und Roten Karten der Fall. Bei faktischen Entscheidun-
                        dann deshalb, weil dieser nach der Überprüfung keinen   gen hingegen gibt es regeltechnisch nur schwarz und
                        Anlass dazu gesehen hat.                     weiß. Dazu zählen etwa die Fragen, ob sich ein Spieler
                                                                     in einer Abseitsposition befindet, ob der Ball eine Begren-
                        WA N N G R E IF T D E R V ID EO -A S S I S TE NT E IN?  zungslinie überschritten hat und ob sich ein Vergehen
                                                                     innerhalb oder außerhalb des Strafraums ereignet hat.
                        Dass der VAR interveniert, wenn der Schiedsrichter in   Da es bei diesen Fragen normalerweise keine verschie-
                        einer der genannten vier Situationen eine klare und   denen Meinungen gibt, genügt die Einschätzung des
                        offensichtliche Fehlentscheidung getroffen hat, dürfte   VAR. So lässt sich Zeit sparen.
                        sich  inzwischen  herumgesprochen  haben.  Weniger
                        bekannt scheint dagegen zu sein, dass ein Eingriff auch   WE LCHE N Z E ITR AUM Ü B E R PRÜF T
                        dann erfolgen muss, wenn der Unparteiische in diesen   DE R V IDEO -A S S I S TE NT ?
                        Situationen einen schwerwiegenden Vorfall verpasst hat.
                        Dass dazu etwa die klassische Tätlichkeit hinter dem   Wenn es um ein Tor, einen (potenziellen) Strafstoß oder
                        Rücken des Schiedsrichters zählt, versteht sich von selbst.   eine (potenzielle) Rote Karte wegen der Verhinderung
                        Doch gemeint sind auch Vorfälle, die sich zwar im Blick-  einer offensichtlichen Torchance geht, überprüft der
                        feld des Unparteiischen abgespielt haben, von diesem   VAR die gesamte letzte Angriffsphase, die im betreffen-
                        aber trotzdem übersehen worden sind. Etwa weil er sich   den Ereignis mündete. Stellt sich dabei heraus, dass der
                        bei einem Zweikampf im Strafraum auf die Oberkörper   Ball zwischenzeitlich aus dem Spiel war oder der Schieds-
                        konzentriert und deshalb nicht bemerkt hat, dass es im   richter einen Verstoß des angreifenden Teams nicht
                        Fußbereich zu einem eindeutig strafbaren Kontakt   geahndet hat, folgt ein Eingriff. Ein solcher Verstoß kann
                        gekommen ist. Oder weil seine Sicht durch einen vor   zum Beispiel ein strafbares Abseits sein, ein Foulspiel
                        ihm befindlichen Spieler beeinträchtigt wurde und ihm   oder ein ahndungswürdiges Handspiel.
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