Page 27 - DFB-Schiedsrichterzeitung 02-2020
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          tag. Eigentlich also keine Zeit für Langeweile, schließ-  Pickel: „Die körperliche Belastung ist enorm. Sie laufen
          lich hat der gelernte Außenhandelskaufmann neben   pro Spiel vergleichbare Strecken und haben ebenfalls
          seinem Job auch eine Familie mit zwei kleinen Kindern   vergleichbare Herzfrequenzen. Um dies sicherstellen zu
          zu Hause.                                   können, ist ein enormer Trainingsaufwand notwendig.
                                                      Daher haben die meisten Schiedsrichter ihren regulären
          So war es dann auch eher ein lang gehegter Wunsch   Job reduziert. Man kann daher, Stand heute, von semi-
          und nicht etwa die mangelnde Beschäftigung, die Mike   professionellen Schiedsrichtern sprechen.“
          Pickel im schon etwas fortgeschrittenen Alter an die Uni
          trieb: „Ich wollte eigentlich immer studieren“, sagt Pickel,   „Ich wollte eigentlich immer
          „das hat aber leider aus den verschiedensten Gründen
          in der Vergangenheit nicht funktioniert. Und dann kam     studieren. Vor rund viereinhalb
          vor rund viereinhalb Jahren der Zeitpunkt, an dem mir
          klar war: Wenn, dann jetzt.“ Bei einer Fernuni in Düssel-  Jahren kam der Zeitpunkt, an dem
          dorf schrieb er sich im Fach Sportmanagement ein, die
          Seminare konnte er im Selbststudium zu Hause absol-  mir klar war: Wenn, dann jetzt.“
          vieren. „Jeden Tag nach Düsseldorf zu fahren, wäre ja
          überhaupt nicht möglich gewesen, deswegen war diese                             Mike Pickel, Schiedsrichter-Assistent
          Art des Studiums für mich optimal. Gerade im Rahmen
          von internationalen Spielen habe ich da einiges für die   Diese Erkenntnis ist nicht nur aus wissenschaftlicher
          Uni machen können“, erinnert sich Pickel. „Oft hat man   Sicht interessant, sondern eines Tages womöglich auch
          bei diesen Einsätzen ja mehrere Stunden Zeit für sich,   relevant für den Alltag vieler Schiedsrichter. Denn Pickel
          die man sonst auf dem Hotelzimmer verbringt. Ich hatte   argumentiert an dieser Stelle bewusst gegen ein Urteil
          dann eben meine Bücher in der Sporttasche dabei und   des Bundesfinanzhofs: „Die Richter dort haben erklärt,
          habe für die Uni gearbeitet.“               dass wir Schiedsrichter keine Leistungssportler sind,
                                                      sondern lediglich Kampfrichter und damit der Gewer-
          Aus diesen Stunden der akademischen Nebenbeschäf-  besteuer unterliegen“, erklärt Pickel. „Das wollte ich mit
          tigung ist nun im vergangenen Jahr eine Bachelorarbeit   meiner Arbeit wissenschaftlich widerlegen und ich
          entstanden. Ihr Titel: „Der Stellenwert des Schiedsrich-  denke, dass mir das auch gelungen ist.“
          ters im deutschen Profifußball“. Pickel: „Mein Professor
          wusste, dass ich als Schiedsrichter-Assistent im Einsatz   Ob dem Bachelor auch noch ein Master folgt, steht für
          bin, da lag es nahe, mich auch wissenschaftlich mit dem   Mike Pickel noch nicht fest. „Wenn es nach meinem Pro-
          Thema auseinanderzusetzen.“ In der Einführung seiner   fessor ginge, dann ja, aber mir reicht es erst einmal. Es
          Bachelorarbeit befasst sich Mike Pickel mit der Profes-  waren vier sehr intensive Jahre – gerade neben der
          sionalisierung des Bundesligafußballs und formuliert   Schiedsrichterei, dann noch mit meinem normalen Job
          daraufhin die Kernfragen: „Welchen Beitrag leistet ein   und den zwei kleinen Kindern zu Hause. Das war zum Teil
          Schiedsrichter bei der Leistungserstellung Bundesliga?   schon hart an der Grenze.“ Bei den nächsten internatio-
          Wie sehen die Rahmenbedingungen der Schiedsrichter   nalen Einsätzen wird die Sporttasche von Mike Pickel also
          aus? Was muss ein Schiedsrichter eigentlich leisten, um   erst einmal wieder etwas leichter sein. Den Titel „Bache-
          den Veränderungen im Profifußball gerecht zu werden?   lor of Science“ nimmt ihm dagegen keiner mehr.
          Arbeiten sie vergleichbar wie ein Profispieler und wie
          ist die öffentliche Wahrnehmung?“                                                        Seit 2007 amtiert
                                                                                                   Mike Pickel in der
          Damit betritt Pickel in seiner Arbeit Terra incognita: „Es                               Bundesliga und
          gibt vergleichsweise wenige Untersuchungen, die sich                                     ist dort von allen
                                                                                                   Schiedsrichter-
          überhaupt wissenschaftlich mit Schiedsrichtern ausei-                                    Assistenten derjenige
          nandersetzen“, sagt Pickel. „Es hat zum Beispiel noch                                    mit den meisten
          nie jemand untersucht, welche Rolle der Schiedsrichter                                   Einsätzen.
          in einem betriebswirtschaftlichen Produktionsablauf
          einnimmt. Gehört er zu den internen Faktoren (wie die
          Spieler) oder zu den externen Faktoren (wie die Medien)?
          Das wollte ich klären. Außerdem wollte ich mir in einem
          zweiten Schritt näher ansehen, ob Schiedsrichter eigent-
          lich Leistungssportler sind.“
          S CH I E DS R I CHT E R  L E I S T E N
          V E R G L EI C H B A R E S  W I E  P R O F I S P I E L E R
          Um diese zweite Frage zu beantworten, wertet Pickel auf
          den rund 60 Seiten seiner Arbeit unzählige Fragebögen
          und Statistiken aus, mit Daten, die zum Teil von der DFL,
          den Bundesliga-Vereinen und auch von seinen Schieds-
          richterkollegen stammen. Sein Fazit im Text fällt eindeu-
          tig aus: „Anhand der vorliegenden Daten leisten Schieds-
          richter Vergleichbares wie die Profispieler“, argumentiert
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