Page 22 - DFB-Schiedsrichterzeitung 06-2020
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Herausforderung, weil er kaum alle Duelle gleicherma- Halten ist zwar nur kurz, aber effektiv; es führt dazu, dass
ßen im Blick haben kann. Dursun nicht mehr zum Abschluss kommt. Damit hat
Sörensen sein Ziel erreicht, das Halten ist eindeutig und
Der Nürnberger Hanno Behrens hält seinen Gegenspie- hat eine klare Wirkung. Auch die Art und Weise, wie der
ler Salih Özcan bereits frühzeitig leicht mit dem rech- Darmstädter zu Boden geht, passt zum Haltevorgang.
ten Arm, um so seine schlechtere Positionierung zu Der Strafstoß ist deshalb die richtige Entscheidung, und
kompensieren. Als der Ball tatsächlich in die Nähe zu da hier eine offensichtliche Torchance verhindert wurde,
kommen droht, intensiviert er sein Halten und zieht ist auch der Feldverweis zwingend erforderlich.
Özcan schließlich zu Boden (Foto 1b). Der Schiedsrich-
ter hat diese Situation sehr gut antizipiert und seine
Konzentration auf diesen Zweikampf gerichtet. Dadurch 4 Borussia Mönchengladbach – Bayer 04 Lever-
hat er eine klare Wahrnehmung, folgerichtig entschei- kusen (27. Spieltag)
det er, ohne zu zögern, auf Strafstoß. Nach einem weiten Pass kommt es in der Leverkusener
Hälfte zu einem Laufduell zwischen dem Mönchen-
2 VfB Stuttgart – Erzgebirge Aue (21. Spieltag) gladbacher Marcus Thuram (weißes Trikot) und Alek-
Anders liegen die Dinge in diesem Spiel. Als bei einem sandar Dragović. Der Angreifer hat dabei einen kleinen
Angriff der Auer der Ball in Richtung Strafraum gespielt Vorsprung und gelangt in Ballbesitz, der Verteidiger
wird, kommt es zu einem typischen Zweikampf: Der fährt kurz vor dem Strafraum den linken Arm aus
Angreifer, hier Pascal Testroet, hat die günstigere Posi- (Foto 4a). Thuram kann den Ball jedoch behaupten und
tion und arbeitet etwas mit den Armen nach hinten, kommt im Strafraum auch zum Abschluss, obwohl
um den Gegner abzuschirmen; der Verteidiger, hier der Dragović mittlerweile den Arm um den Oberkörper
Stuttgarter Atakan Karazor, drückt und hält ein wenig seines Gegenspielers gelegt hat (Foto 4b). Torwart
mit den Armen dagegen (Foto 2a). Auf beiden Seiten Lukáš Hrádecký kann den Schuss abwehren. Der
bewegt sich der Einsatz der Arme noch im Rahmen des Schiedsrichter lässt weiterspielen.
Zulässigen, für den Schiedsrichter besteht deshalb
keine Notwendigkeit einzugreifen. Aber er muss genau Auch wenn das zweite Standbild ein Halten deutlich
hinsehen, wie sich die Situation entwickeln wird. zeigt und sich Dragović in der gesamten Szene in der
schlechteren Position befindet, ist die Entscheidung
Testroet kann den Ball annehmen und legt ihn sofort des Unparteiischen vertretbar. Denn der Leverkusener
an Karazor vorbei. Der Stuttgarter zieht daraufhin kurz beeinträchtigt Thuram nicht entscheidend, er zerrt
am Trikot seines Gegenspielers (Foto 2b), lässt jedoch nicht an dessen Körper, der Gladbacher behält das
umgehend wieder los. Der Auer versucht seinerseits, Gleichgewicht und kann kontrolliert abschließen. Das
Karazor mit dem Arm auf Abstand zu bringen, und geht Halten hat also letztlich keine klare Wirkung erzielt.
schließlich zu Boden. Der Unparteiische zeigt sofort an, Auch hier gilt: Wirklich sauber ist das Verhalten des
dass weitergespielt wird – und liegt damit richtig. Denn Verteidigers nicht, aber ein eindeutiges Vergehen liegt
auch wenn das Zweikampfverhalten des Verteidigers erst recht nicht vor. Weiterspielen ist deshalb die bes-
sicherlich nicht ganz einwandfrei war, so war der kleine sere Entscheidung.
Zupfer am Trikot auch nicht ursächlich für den eher frei-
willigen Sturz des Stürmers. Insgesamt fehlt es der Szene H A LT E VO R G Ä N G E B E I F L A N K E N
zudem an Eindeutigkeit für eine Strafstoß-Entscheidung.
5 RB Leipzig – TSG 1899 Hoffenheim
H A LTE VO RG Ä N G E B E I L AU F D U E LLE N I M (14. Spieltag)
O D E R A M S T R A F R AU M Wie in der ersten Szene kommt auch hier eine Flanke in
den Strafraum, der folgende Zweikampf ist allerdings
3 1. FC Nürnberg – SV Darmstadt 98 dynamisch und nicht statisch. Der Leipziger Timo Wer-
(23. Spieltag) ner (weißes Trikot) reagiert schneller als sein Gegen-
Nach einer Hereingabe in den Nürnberger Strafraum spieler Stefan Posch und hat zudem einen grundsätzli-
misslingt einem Verteidiger der Gastgeber der Befrei- chen Geschwindigkeitsvorteil. Die Hereingabe ist für
ungsschlag so gründlich, dass der Ball zum Darmstädter ihn gedacht, doch als er zum Ball sprinten will, hält ihn
Serdar Dursun gelangt, der am schnellsten geschaltet Posch mit dem linken Arm an der Brust (Foto 5a). Wer-
hat und sieben Meter vor dem Tor nur noch den Torwart ner versucht trotzdem weiterzulaufen, aber das Halten
vor sich sieht (Foto 3a). Als er abschließen will, hält ihn setzt sich fort, und so verliert der Stürmer schließlich
der Nürnberger Asger Sörensen kurz am Arm fest das Gleichgewicht und geht zu Boden (Foto 5b). Unver-
(Foto 3b). Dursun trifft dadurch den Ball nicht, den der züglich entscheidet der Unparteiische auf Strafstoß.
Keeper deshalb aufnehmen kann; der Darmstädter
Angreifer geht schließlich zu Boden. Sofort entscheidet Es ist offensichtlich, dass es dem Verteidiger nur darum
der Schiedsrichter auf Strafstoß und Verwarnung, die geht, den Stürmer daran zu hindern, den Ball zu errei-
Persönliche Strafe ändert er nach dem Eingriff des Video- chen. Posch ist in der schlechteren Position, das Halte-
Assistenten in einen Feldverweis. vergehen ist kurz, aber klar und wirkungsvoll. Auch die
Art und Weise, wie Werner fällt, passt zum Impuls, der
Hier gewinnt der Stürmer das kurze Laufduell auch dank vom Halten ausgeht. Der Schiedsrichter hat sofort
seiner schnellen Reaktion, er ist dadurch in einer wesent- erkannt, wer der Zielspieler der Flanke ist, und den Zwei-
lich besseren Position als der Verteidiger, der sich nur kampf deshalb genau beobachtet. Die Strafstoßent-
noch mit einem Griff an den Arm zu helfen weiß. Das scheidung ist korrekt.