Page 29 - DFB-Schiedsrichterzeitung 01-2020
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          Antwort kontern können. Schließlich war die Aussage   Mit Betreten des Spielfelds muss der Referee zum Leiter
          von Lippens damals wohl eher humorvoll gemeint.   des Spiels werden. Er muss den Spielcharakter von
                                                      Beginn an lesen und sofort merken, wo sich Spannungs-
          Vor allem mit Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich das   felder aufbauen. Kommunikativ und mit einem hohen
          zuvor eher autoritär ausgerichtete Bild des Schiedsrich-  Maß an Einfühlungsvermögen in die jeweilige Situation
          ters gewandelt, was auch bei einem Vergleich der Regel-  und die Befindlichkeiten der Spieler kann er während
          bücher von 1993/94 und 2020/21 deutlich wird. Vor   der 90 Minuten Konflikte oft schon in ihrer Anfangs-
          der Jahrtausendwende hieß es in Regel 5 noch: „Für   phase deeskalieren.
          jedes Spiel muss ein Schiedsrichter bestimmt werden.
          Seine Macht, Strafen zu verhängen, erstreckt sich auch   Für den Referee gilt es dabei, mit gezielten Ansprachen
          auf Vergehen, die begangen werden, wenn das Spiel   präventiv in das Geschehen einzugreifen. Mal muss eine
          zeitweilig unterbrochen wurde oder wenn der Ball aus   klare, scharfe Ansage an fehlbare Spieler kommen, dann
          dem Spiel ist.“                             aber auch ein Lob, wenn einzelne Spieler sich besonders
                                                      fair verhalten. Gerade die Anerkennung durch den
          Heute dagegen hat der Unparteiische seine Autorität   Schiedsrichter für faires Verhalten einzelner Spieler fehlt
          zur Spielleitung mehr aus seinen fachlichen und sozia-  noch zu oft – es wird meist als selbstverständlich vor-
          len Kompetenzen herzuleiten als aus seiner Amtsmacht.   ausgesetzt, verdient aber Respekt. Ist es dagegen erst
          So heißt es in Regel 5 heute: „Jedes Spiel wird von einem   einmal zu einer Eskalation der Emotionen gekommen,
          Schiedsrichter geleitet, der die uneingeschränkte Befug-  kann der Schiedsrichter oft nur noch durch den Einsatz
          nis hat, die Spielregeln beim Spiel durchzusetzen.“   Persönlicher Strafen reagieren.

          Die bekannten Worte des ehemaligen DFB-Präsidenten   Während der gesamten Spielzeit steht der Schiedsrich-
          Egidius Braun, dass ein Fußballspiel mehr sei als ein 1:0,   ter in einem Wechselbad der Gefühle. Dabei ist es wich-
          haben also auch für die Schiedsrichter eine besondere   tig, dass seine Entscheidungen durch die passende Kör-
          Bedeutung. Für die Unparteiischen im aktuellen Fuß-  persprache, eine angemessene verbale Ansprache und
          ballgeschehen, gleich ob Frauen oder Männer, heißen   auch durch den variablen Pfiff bei den Spielern und
          sie nämlich, dass für eine überzeugende Spielleitung   Außenstehenden ankommen.
          die Kenntnis der Spielregeln nicht ausreicht. Es kommt
          nicht nur darauf an, die Regeln zu überwachen, sondern   Bei der Mehrzahl der Spiele bleibt für das Schiedsrich-
          vor allem darauf, ein Spiel zu leiten.      ter-Team nach dem Abpfiff häufig noch Zeit für ein kur-
                                                      zes Gespräch mit den Spielern und Offiziellen. Die Unpar-
          Erwartet wird also ein Unparteiischer, dem es gelingt,   teiischen sollten auch diese Gelegenheit zum Smalltalk
          auf dem Feld zum Spielmanager zu werden. Er muss die   und damit zur konstruktiven Kommunikation nutzen,
          Fäden in der Hand haben, wenn die Spieler mit regel-  denn so schaffen sie bereits ein positives Klima für die
          widrigen Mitteln versuchen, den Sieg um jeden Preis zu   nächsten Spielaufträge.
          erringen. Er muss seine ganze Persönlichkeit ausspielen,
          wenn die Aktiven mit überzogenem Einsatz bis hin zur   Die  Bedeutung der  Kommunikationskompetenz des
          Rücksichtslosigkeit ihre Gegenspieler bekämpfen, um   Schiedsrichters wird im DFB-Lehrbrief Nr. 95 angespro-
          am Ende als Sieger dazustehen.              chen. Die Redakteure haben eine Reihe von Übungen   Der erste Eindruck
                                                      zur Rhetorik ausgearbeitet. Sie bieten verschiedene,   zählt: Schon bei der
          V E RB A L E  U ND  N ON V E RB A L E       handlungsorientierte Übungen an, die von der soforti-  Platzkontrolle können
          KOMM U NI K AT I ON  S IND  W I C H T I G   gen Reaktion auf einen Vorwurf über einen Vortrag bis   die Unparteiischen die
                                                                                                   Grundlage für einen
                                                      hin zu einem Rollenspiel reichen.            respektvollen Umgang
          Neben der erforderlichen Regelsicherheit und einer                                       miteinander legen.
          guten körperlichen Fitness gehört zur Schiedsrichter-
          tätigkeit demnach auch ein sicheres Auftreten, verbun-
          den mit der notwendigen Kompetenz in Sachen Körper-
          sprache und verbaler Kommunikation.

          Diese muss der Unparteiische bereits vor dem Anpfiff
          unter Beweis stellen, denn schon beim Eintreffen am
          Spielort wird er von den Vereinsoffiziellen, den Trainern
          und den Spielern „begutachtet“. Dabei gibt es nur eine
          einzige Chance, einen guten ersten Eindruck zu hinter-
          lassen.

          Bereits bei der Begrüßung muss der Schiedsrichter also
          mit seinem Auftreten überzeugen und die Grundlage
          dafür legen, dass er respektiert wird. Geht das Schieds-
          richter-Team sicher, offen und mit Blickrichtung auf die
          Funktionäre und Spieler der Vereine zu, dann zeigen die
          Unparteiischen schon mit ihrer Körpersprache: „Wir sind
          ebenso Sportler wie ihr. Wir werden unsere bestmögli-
          che Leistung abrufen. Habt Vertrauen zu uns.“
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