Page 18 - DFB-Schiedsrichterzeitung 02-2021
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„WENIG ER
HER AUSFORDERND“
Die Stimmung in den leeren Stadien ist anders als früher. Für
Bastian Dankert fühlte es sich anfangs an „wie in der Kreis-
liga B vor 20 Zuschauern“, Daniel Siebert hörte erstmals wie-
der, wenn „ein Schuss auch nur minimal abgefälscht wird“.
Und wie ist es heute? Eine Zwischenbilanz mit FIFA-Schieds-
richter Tobias Stieler.
GES PR ÄCH ls vor kurzem das Tor des Jahres 2020 gesucht der ganz anders sein. Aber klar, für den Schiedsrichter
Tobias Altehenger wurde, waren bei den ersten Toren noch wird es dann auch wieder herausfordernder. Das kann
A Zuschauer im Stadion. Ich hab das gesehen ich jedenfalls für mich persönlich als Fazit ziehen: Ohne
und gedacht: Ach krass, stimmt, so war das mal. Wie Zuschauer ist es ein Stück weit weniger herausfordernd.
sehr sind Geisterspiele für dich inzwischen zur „neuen
Normalität“ geworden? Warum?
Mittlerweile sind Geisterspiele unser Alltag. Mir geht's Weil sich zwischen Zuschauern und Spielern im Stadion
aber ähnlich: Wenn ich heute Szenen aus Spielen mit etwas abspielt. Das könnte man Übertragung und Gegen-
Zuschauern sehe, dann fühlt sich das total komisch an. übertragung nennen. Von Emotionen, von Stimmungen,
Am Anfang war das komplett andersrum, da habe ich von Gefühlen – und das macht ja was mit den Spielern.
selbst auch weniger Bundesliga-Spiele im Fernsehen Das macht was mit den Spielern, wenn sie ausgepfiffen
geschaut, weil mir die Zuschauer so sehr gefehlt haben. werden, genauso wie es was mit ihnen macht, wenn sie
Mittlerweile schaue ich wieder mehr. Trotzdem fehlt angetrieben werden. Und das überträgt sich zumindest
natürlich etwas ganz Entscheidendes. in Teilen auch auf die Herausforderungen an uns als
Schiedsrichter. Was ich momentan feststelle, ist ein viel
Kleiner Einschub vielleicht: Im Sommer hatten wir für gelassenerer Umgang von Spielern mit Entscheidungen.
kurze Zeit wieder Zuschauer. Ich kann mich da an ein Es wird weniger rumgeschrien. Emotionen sind schon
Spiel erinnern, das ich gepfiffen habe, Gladbach gegen noch da, aber nicht mehr in dieser Form.
Union Berlin, da waren 10.000 Zuschauer im Stadion –
über das ganze Stadion verteilt in Zweiergrüppchen. Das Wie sehr beeinflusst das deine Spielleitung? Sprichst
sah nicht nur merkwürdig aus, auch die Resonanz, die du zum Beispiel leiser als sonst?
von den Rängen kam, war fast surreal. Ohne Zuschauer
hast du gar keine Resonanz, mit Zuschauern hast du Ich schreie grundsätzlich nicht rum (lacht). Insofern hat
extreme Resonanz – und bei ein paar Zuschauern hat sich mein Pegel auch nicht geändert.
sich das noch mal komplett anders angehört und ange-
fühlt. Das muss für die Spieler ungewohnt gewesen sein; Pushen dich Zuschauer normalerweise, brauchst du
für mich war's jedenfalls extrem ungewohnt. das fürs Adrenalin, für die Motivation?
Wenn die Zuschauer dann hoffentlich bald in die Sta- Brauche ich die Zuschauer? Schwierige Frage. Wenn ich
dien zurückkommen – wirst du dich daran dann auch nur meinen Job als Schiedsrichter nehme, dann würde
erst einmal wieder gewöhnen müssen? ich sagen: nein. Denn mein Job ist es, über 90 Minuten
eine gute, möglichst fehlerfreie Leistung zu erbringen.
Bestimmt. Ich bin schon wirklich gespannt darauf, wie Aber: Es macht natürlich deutlich mehr Spaß, wenn ich
das sein wird. Erst einmal ist die Frage, wie die Spieler in ein Stadion einlaufe und da sind 50.000, 60.000 oder
darauf reagieren werden – denn die Zuschauer kommen 80.000 Zuschauer. Als ich vergangenes Jahr in Liverpool
für die Spieler in die Stadien. Das wird vermutlich wie- gepfiffen habe, wo sonst vor dem Spiel das ganze Sta-