Page 19 - DFB-Schiedsrichterzeitung 02-2021
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          dion „You'll never walk alone“ singt, da hat das natürlich   Im Sommer steht die Europameisterschaft an, mögli-
          sehr gefehlt, da gab's dann auch keine Gänsehaut vor   cherweise ja auch mit dir – in welcher Funktion auch
          dem Spiel. Das ist natürlich schon schade. Und insge-  immer. Dann hoffen wir alle darauf, dass im Sommer
          samt liebe ich Herausforderungen, deswegen bin ich   die Zuschauer zurück in den Stadien sind. Und: Du
          froh, wenn die Zuschauer wieder da sind.    wirst im Sommer dein Studium beenden und bist dann
                                                      nicht nur Jurist, sondern auch Sportpsychologe.
          Immerhin momentan mehr Ruhe in der Review Area …  Könnte ein guter Sommer werden, oder?

          Das stimmt natürlich. Ich hatte Anfang des Jahres in   Das könnte nicht nur, das wird auf jeden Fall ein guter
          einem Spiel mal einen relativ langen Review-Prozess.   Sommer.
          Da ging es um Abseits, da mussten erst noch die Linien
          gezogen werden, und ich habe da bestimmt anderthalb
          Minuten gestanden. In dieser Situation habe ich auch
          zu den Spielern gesagt: „Stellt euch vor, was hier gerade
          mit Zuschauern los wäre.“ Denn wenn ein Review länger
          dauert, dann werden die Zuschauer ungeduldig und
          übertragen diese Unruhe auf die Spieler. Momentan
          nehmen das die Spieler relativ gelassen zur Kenntnis –
          auch wenn es mal länger dauert.
          Die Spieler werden regelmäßig getestet, ihr auch.
          Führt das dazu, dass du ein Spiel genauso körperlich
          leitest wie vorher, zum Beispiel wenn ein Rudel auf-
          zulösen ist?

          Aktuell gibt es ja nicht so viele Rudel. Aber ich glaube,
          da würde ich automatisch vorgehen und das Rudel
          schlichten wie vorher auch. Es ist im Übrigen auch inte-
          ressant zu sehen: Eigentlich gibt es keine Hand-
          shakes. Vor dem Spiel wird das auch schön diszipliniert
          mit der Faust gemacht, nach dem Spiel gibt es weniger
          Hemmungen. Das merke ich dann auch bei mir, dass ich
          unabsichtlich jemandem die Hand entgegenstrecke,
          und dann wird das so ein Mix aus Hand und Faust. Ins-
          gesamt versuche ich aber natürlich wie alle anderen
          auch, das Hygienekonzept umzusetzen.
          Hast du mitgezählt, wie viele Wattestäbchen du  inzwi-
          schen im Rachen hattest?

          Das nicht, aber ich habe bei meinem Labor in Hamburg
          mal angeregt, eine Treuekarte zu bekommen. Nach zehn
          Rachenabstrichen gibt's einen zum Mitnehmen oder so.
          Bisher leider ohne Erfolg!

          Schauen wir mal auf dich persönlich, auf dein Jahr:
          Du bist Ende 2020 in die Elite-Gruppe der FIFA-
          Schiedsrichter aufgestiegen. War das eine Überra-
          schung für dich oder hatte sich das so ein bisschen
          abgezeichnet, auch wenn wir auf deine Ansetzungen
          in der Champions League gucken?

          Schwierig. Mit so etwas kann man nie rechnen, insofern
          konnte ich damit auch nicht rechnen. Ich habe versucht,
          die bestmögliche Leistung zu zeigen, entscheiden müs-
          sen das andere. Ich weiß, das ist immer eine langweilige
          Antwort. Aber ich habe mir jedenfalls keinen künstlichen
          Druck gemacht und erwartet habe ich mal gar nichts. Bei
          uns Schiedsrichtern ist es schwieriger messbar als bei
          Mannschaften, ob wir auf- oder absteigen. Für einen Auf-
          stieg braucht es viele glückliche Umstände und gute Leis-
          tungen. Jetzt hat es am Ende des Jahres eben gepasst,
          was mich natürlich happy macht.
                                                      Tobias Stieler gehört ab sofort der Elite-Gruppe der FIFA-Schiedsrichter an.
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