Page 21 - DFB-Schiedsrichterzeitung 02-2021
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die Neue Ruhr Zeitung von einem Kreisliga-Spiel in Essen indirekten Freistoß als Spielstrafe zugleich eine Per-
im Oktober 2018, bei dem es nach einem Foul zu hef- sönliche Strafe vor.
tigen Diskussionen kam, an deren Ende sich ein Spieler
vom Team des SV Eiberg vergaß: „Beim Spiel zwischen Bei der Bewertung, ob das Verhalten eines Spielers als
dem SV Preußen Eiberg und der Essener SG 99/06 II unsportlich anzusehen sei, räumten sie dem Unpartei-
wurde ein Fußballer schwer verletzt. Ihm wurde ein Stück ischen in Regel 5 allerdings einen Ermessensspielraum
Nase abgebissen.“ ein, ohne diesen detailliert zu definieren.
Was sich wie eine Geschichte aus dem „Wilden Westen“ S CH I E DS R I CHT E R M US S
liest, passiert in ähnlicher Form Wochenende für M I T AUG E N M A S S E N T S C H E I DE N
Wochenende auch in allen Landesverbänden und in
sämtlichen Spielklassen, vom Juniorenfußball bis zur In den aktuellen Spielregeln werden vor allem in Regel 12
Bundesliga. So erinnern sich einige Fußballinteressierte unterschiedliche Formen des „Verbotenen Spiels“ auf-
sicher noch gut an die „Beiß-Attacke“ von Oliver Kahn geführt, wobei dem Schiedsrichter unter der Überschrift
gegen Heiko Herrlich im Jahr 1999. Ein weiteres Kapitel „Indirekter Freistoß“ auch weiterhin ein Ermessensspiel-
fügte der Gladbacher Marcus Thuram mit seiner Spuck- raum gegeben wird. Besagt doch die Regel 12 im
attacke gegen den Hoffenheimer Stefan Posch erst am Abschnitt „Verwarnungswürdige Vergehen“, dass gegen
letzten Spieltag vor dem vergangenen Weihnachtsfest einen Spieler eine Gelbe Karte gezeigt werden muss bei:
hinzu.
• Protestieren/Reklamieren durch Worte oder Hand-
Solche groben Unsportlichkeiten müssen vom Schieds- lungen
richter genauso mit der Roten Karte bestraft werden wie • Verzögerung der Spielfortsetzung
Beleidigungen gegen andere Spieler oder gegen das • Missachten des vorgeschriebenen Abstands bei
Schiedsrichter-Team. Schiedsrichter-Ball, Eckstoß, Freistoß oder Einwurf
Zum großen Komplex der Unsportlichkeiten gehören Gerade bei diesen Vergehen muss der Unparteiische
auch Tore, die absichtlich mit der Hand oder dem Arm hinsichtlich der Qualität des Verhaltens differenzieren.
erzielt werden, wie jenes von Leon Andreasen im Spiel So wird es kaum einen Schiedsrichter geben, der einen
des 1. FC Köln gegen Hannover 96. Im Oktober 2015 Spieler sofort mit der Gelben Karte verwarnt, nur weil
lenkte der Mittelfeldspieler eine Flanke mit dem rech- dieser eine Freistoß-Entscheidung in normalem Ton mit
ten Arm ins Tor und freute sich wie ein Dieb über den den Worten kommentiert: „Schiedsrichter, das war doch
irregulären Treffer, der zum 1:0-Erfolg seines Teams kein Foul.“ Auch kann es völlig überzogen sein, einen
führte. Heute würde der Video-Assistent einer solchen Spieler mit „Gelb“ zu verwarnen, der sich beim Freistoß
Unsportlichkeit einen Riegel vorschieben. für den Gegner im Mittelfeld nicht schnell genug auf
die 9,15-Meter-Distanz begibt.
Da ist es richtig wohltuend, wenn immer mal wieder
auch von besonders fairem Verhalten zu hören ist. Im In solchen Fällen wird ein guter Schiedsrichter zunächst
Dezember 2016 berichteten zahlreiche Medien vom mit dem entsprechenden Nachdruck und der passen-
Amateurfußballer Antonio Muñoz. Im Spiel seines 1. FC den Körpersprache eine Ermahnung aussprechen. Zeigt
Bocholt gegen SF Baumberg kam er in einem Zweikampf diese jedoch keine Wirkung und der Spieler verstößt
vor dem gegnerischen Tor zu Fall. Für den Schiedsrich- wiederholt gegen die Regeln, ist er zu verwarnen.
ter war das eine klare Sache: Elfmeter und „Gelb“. Es gab
Proteste der Gäste. Und was tat Antonio Muñoz? Der Im aktuellen DFB-Lehrbrief weisen die Verfasser darauf
zeigte Größe. Obwohl seine Mannschaft in Rückstand hin, dass an den Lehrabenden konkrete Beispielszenen
lag, ging er zum Unparteiischen und erklärte, dass er im bearbeitet und diskutiert werden müssen. Dabei glie-
Rasen hängen geblieben sei. Der Schiedsrichter nahm dern sie die Unsportlichkeiten in Vergehen gegen Spie-
daraufhin seine Entscheidung zurück, und der Stürmer ler der gegnerischen Mannschaft, gegen die eigenen
erntete reichlich Lob. Spieler, gegen das Schiedsrichter-Team und gegen die
Idee des Fair Plays. Bei der Lehrarbeit zu diesem Thema
Weit verbreitet ist hingegen, dass Spieler versuchen, ist den Unparteiischen immer wieder zu vermitteln, dass
durch Schauspieleinlagen Strafstöße „herauszuholen“. ein unsportliches Handeln in jedem Spiel und in jeder
Kommt es zu einer offensichtlichen „Schwalbe“, muss Spielsituation vorkommen kann, sodass sie auch in jedem
der Referee den Schauspieler unbedingt verwarnen. Ein Moment darauf vorbereitet sein müssen.
klares Auftreten und konsequente Entscheidungen sind
wichtig gegenüber denjenigen Spielern, die gezielt Für die Lehrarbeit in Gruppen bis zu 30 Teilnehmern
gegen die Spielregeln verstoßen. sollen die Schiedsrichter am Beispiel konkreter Situati-
onen unterschiedliche Strategien im Rollenspiel ein-
Die Mitglieder des 1886 in England gegründeten üben, um kraft ihrer Persönlichkeit und ihres kommu-
International Football Association Boards (IFAB) nikativen Vorgehens das unsportliche Verhalten der
erkannten schon sehr früh, dass jedes unsportliche Spieler zu reduzieren oder sogar ganz zu verhindern.
Verhalten den Ablauf eines Spiels und die Idee des Diese Form der Aus- und Weiterbildung eignet sich
Fair Plays erheblich stört. Sie ordneten deshalb sol- besonders bei der Arbeit mit jungen Schiedsrichtern
che Vergehen in den Jahren 1904 bis 1913 als straf- und Schiedsrichter-Talenten, die erst dabei sind, eigene
bare Handlungen ein und sahen dafür neben dem Strategien im Konfliktmanagement zu entwickeln.