Page 25 - DFB-Schiedsrichterzeitung 02-2021
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1924 traf man dann immerhin eine vorsichtige Gegen-
maßnahme, indem man in den Text aufnahm, dass nicht
jede Abseitsstellung als strafbar angenommen wird,
sondern nur, wenn ins Spiel eingegriffen wird, also sich
der Spieler zumindest sehr nah am Ball oder einem
Gegenspieler befindet, der den Ball spielen will. Das
ersparte schon einige Pfiffe der Schiedsrichter, die bis
dahin auch häufig „passives Abseits“, wie es später mal
genannt werden sollte, bestraften. Nach dem Motto:
Abseits ist Abseits und damit in jedem Fall strafbar.
Diese Idee wurde im Laufe der Jahrzehnte bei Abseits-
diskussionen immer mal wieder vorgebracht, auch heute
noch. Dass ihre Umsetzung die Arbeit der Unparteii-
schen erleichtern würde, steht außer Frage; schließlich
müssten sie nicht mehr entscheiden, ob der Spieler Ein-
fluss auf das Spiel nimmt oder nicht. Dass aber ein Pfiff
einen Angriff unterbrechen soll, weil weit vom Spielge-
schehen entfernt ein Akteur im Abseits steht, ist ja keine
Lösung im Sinne des Spiels.
Aus „three“ wird
WA S I S T S I N N U N D Z W E C K möglich sein. Die Absicht: Die Abwehrspieler könnten „two“: Ausriss aus
D E R A B S EI TS R E G E L? nicht mehr so weit aufrücken (wie bereits beschrieben) dem Original-
und die Angreifer kämen näher an das gegnerische Tor Protokoll der IFAB-
Jahresversammlung
Und das gilt auch für die spiegelbildliche Forderung, heran, ohne gleich hinter der Mittellinie ins Abseits 1925.
abseits sollte nirgendwo gelten. Simon Rosenberger gestellt werden zu können.
und Alwin Hofschneider, beide in den 30er-Jahren hoch-
geachtete Regelexperten und Herausgeber der Schieds- Und wieder – wie schon seit 1920 – stimmten nur die
richter-Zeitung, wiesen darauf in ihrem Standardwerk Engländer zu. Damit war die erforderliche Vierfünftel-
„Der Schiedsrichter“ nachdrücklich hin: „Was ist denn Mehrheit bei Weitem nicht erreicht. Allerdings hatten die
Sinn und Zweck der Abseitsregel? Die verteidigende Schotten schon seit 1896 immer mal wieder einen wei-
Partei soll davor geschützt werden, dass sich ein Geg- teren, jedes Mal abgelehnten Vorschlag eingebracht, der
ner in unmittelbarer Nähe des Tores aufstellt und dort auf den ersten Blick wie eine Kleinigkeit anmutete: Aus
darauf lauert, dass ihm der Ball aus größerer Entfernung dem ersten Satz der Regel 6 möge das Wort „drei“ gestri-
zugespielt wird. Die Abseitsregel ist ja keine Strafregel, chen und durch das Wort „zwei“ ersetzt werden. Offen-
sondern eine Schutzregel.“ sichtlich waren die Schotten bei der Argumentation wäh-
rend des Treffens in Paris sehr überzeugend oder hatten
Noch mal zurück zu Billy McCracken, dem Abseits-Fal- schon im Vorfeld gute Arbeit geleistet: Der Vorschlag
lensteller vom Dienst. Der englische Fußball-Historiker wurde diesmal nach einem Testspiel angenommen!
Bryon Butler, Verfasser eines Jubiläumsbandes anläss-
lich des 100. Geburtstages der englischen Football Die geänderte Zahl bezog sich natürlich auf die Abwehr-
League, erkannte in dem Iren den „Schurken, der gemein- spieler, die sich zwischen einem Angreifer und der Tor-
hin als der Mann angesehen wird, der 1925 die Ände- linie befinden mussten, damit er nicht ins Abseits geriet.
rung der Abseitsregel notwendig machte“. So zitiert ihn Diese Bestimmung bildet noch heute, fast 100 Jahre Aus Simon
Rainer Moritz in seinem schon genannten Buch. später, das Fundament der für unser Spiel essenziellen Rosenbergers
Regel. Standardwerk „Der
Was also geschah 1925? Schiedsrichter“: Als
Wie die Abseits-Regel in den folgenden Jahrzehnten A den Ball spielt, ist B
Man traf sich am 22. Juni in der Rue de Londres 22 in weiter verändert wurde, das können Sie in der nächs- im Abseits, da er nur
Paris, damals der Sitz der FIFA. „Man“ – das waren Ver- ten Ausgabe im zweiten Teil unseres historischen einen Gegenspieler
vor sich hat. Kommt er
treter der vier britischen Verbände England, Schottland, Abrisses lesen. an den Ball, muss der
Nordirland und Wales sowie der FIFA; gemeinsam bil- Schiedsrichter pfeifen.
deten die Herren das International Football Association
Board (IFAB), das Gremium, das noch heute und auch in
dieser Zusammensetzung allein entscheidend für die
Regeln des Fußballs ist.
Wie schon seit 1920 brachte der schottische Verband
in Sachen Abseits (damals Regel 6) einen Vorschlag auf
den Tisch: Danach sollte eine Linie jeweils 40 Yards vom
Tor entfernt quer über das Spielfeld gezogen werden.
Da ein normales Spielfeld damals mit 120 Yards bemes-
sen wurde, hätte man die Fläche also gedrittelt. Nur
innerhalb dieses Drittels sollte eine Abseitsstellung