Page 22 - DFB-Schiedsrichterzeitung 2/2018
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deshalb möglicherweise den Tritt kaum wahrgenom- noch wenn er sich für „Rot“ entschieden hätte. Denn
men hatte. es liegt so oder so keine eindeutige Fehlentscheidung
vor.
So sehr es zu begrüßen ist, dass der Schiedsrichter sich
nach dem Spiel zu dem Vorgang äußert, so sehr muss 4 RB Leipzig – 1. FSV Mainz 05
man dann auch bereit sein, die Eindeutigkeit der Szene Kurz vor Spielende gibt es beim Stand von 2:2 einen
einzuräumen; das umso mehr, als sie sich am Spieltag Zweikampf zwischen Jean-Philippe Gbamin und Timo
nach dem oben beschriebenen „Rot“-Foul zutrug. Werner am Mainzer Torraum (Foto 4a), wobei Werner zu
Fall kommt (Foto 4b) und Leipzig einen Strafstoß for-
3 FC Schalke 04 – 1. FC Köln dert. Schiedsrichter Patrick Ittrich lässt die Partie wei-
Für langjährige Fußball-Fans war es ein Déjà-vu-Erlebnis: terlaufen, der Ball landet nach kurzer Zeit im Toraus.
In der Verlängerung des WM-Endspiels 2006 zwischen
Italien und Frankreich hatte Zinédine Zidane seinen Wie bei allen Szenen, in denen sich die Strafstoß-Frage
Gegenspieler Marco Materazzi mit einem Kopfstoß zu stellt, hat Video-Assistent Daniel Siebert inzwischen
Boden gerammt – „Rot“ für den Franzosen. anhand der ihm zur Verfügung stehenden TV-Bilder die
Situation überprüft. Die Fragestellung für ihn: War die
Und diese Strafe erwarteten sicherlich viele Zuschauer, Entscheidung Ittrichs, weiterspielen zu lassen, eine ein-
als der Schalker Leon Goretzka seinen Gegenspieler deutige Fehlentscheidung?
ebenfalls mit dem Kopf im Brust-Bauch-Bereich traf.
Schiedsrichter Tobias Stieler allerdings behielt die Ruhe Die Antwort, die er dem Unparteiischen umgehend mit-
und ließ sich von dem Zidane-Fall, der ihm auch sofort teilt: auf gar keinen Fall ein klarer Fehler. Der Video-
vor Augen gestanden haben mag, nicht verleiten. Assistent ist hier zwar aktiv, aber er greift nicht ins Gesche-
hen ein, weil die Situation auch nach wiederholter
Was war geschehen? Nach einem vom Kölner Salih Özcan Zeitlupen-Betrachtung nicht eindeutig zu klären ist. Das
an ihm begangenen Foulspiel rappelt sich Goretzka bedeutet außerdem: Hätte der Schiedsrichter auf Straf-
wütend auf. Auch weil, wie die TV-Bilder es nahelegen, stoß entschieden, wäre ein Eingreifen auch nicht mög-
Özcan ihm wohl etwas zugerufen hat, schaut er den sich lich gewesen, denn auch diese Festlegung wäre keine
auf ihn zubewegenden Özcan an, nimmt den Kopf her- eindeutige Fehlentscheidung von Ittrich gewesen.
unter (Foto 3a) und lässt den Kölner dagegenlaufen, der
dabei nicht zu Fall kommt (Foto 3b). 5 Eintracht Frankfurt – Bayern München
Als James Rodríguez den Ball durchs Mittelfeld treibt,
Der „Kopfstoß“ wird also nicht mit Vehemenz aus- grätscht Frankfurts Marius Wolf hinter ihm her, ohne
geführt, schon gar nicht mit der Wucht, die Zidane ein- den Ball erreichen zu können. Auch wenn der TV-Repor-
setzte. Daher ist Goretzkas Verhalten nicht zwingend ter es anders sieht („Er trifft ihn gar nicht richtig, mit
als Tätlichkeit zu bewerten. „Gelb“ wäre für diese Unsport- dem linken Bein überhaupt nicht.“), bringt er James
lichkeit die angemessene Strafe gewesen. Wie sehr sich doch zu Fall (Foto 5a). Schiedsrichter Harm Osmers hat
die Zidane-Aktion von der Goretzkas unterschied, kann einen guten Blick auf die Szene und zeigt sofort „Rot“
man sich übrigens bei Youtube anschauen. (Foto 5b).
Für den Video-Assistenten gibt es hier keinen Grund Bei genauer Betrachtung der TV-Bilder trifft der Frank-
einzugreifen, weder wenn es der Schiedsrichter ohne furter Spieler aber seinen Gegenspieler nicht in der bru-
Disziplinarstrafe abhandelt, wie er es hier getan hat, talen Weise, wie es der Referee aus seiner Perspektive
3A 3B
Sieht so aus wie
damals, war aber
3 viel harmloser: Leon
Goretzka ist nicht
Zinédine Zidane.
http://bit.ly/Kopfstoss